F*Streik

Im feministischen Streik zusammen kämpfen gegen Patriarchat, Ausbeutung und Unterdrückung

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Und wieder waren sie auf der Straße: am 7. April schon das neunte mal in diesem Jahr. Nur zwei ihrer Demonstrationen war lange im Voraus geplant, nämlich die zum 8. März – Frauentag und die Präsenz am 1. Mai. Die anderen Treffen fanden spontan statt, immer dann, wenn wieder ein Frauenmord geschehen war. Am 6. April war es sogar in Graz passiert, in der Idlhofsiedlung, ganz in der Nähe des Griesplatzes, wo F*Streik zusammen mit der KJÖ nur wenige Stunden später auf die steigende Zahl an Feminziden mit einer öffentlichen Kundgebung aufmerksam machte. Selbst am 1. Mai gab es mit dem neunten Femizid des Jahres 2021 einen traurigen Anlass auf die Straße zu gehen.

 

F*Streik – was/wer ist das?

F*Streik steht für feministischer Streik. F*Streik adressiert nicht nur Frauen, sondern dezidiert FLINTA* (Frauen/Lesben/Inter/Non-binary/Trans/Agender Personen) – und das hat Geschichte. Die Ursprünge der Bewegung liegen in Argentinien, wo sich 2016 als Reaktion auf die massive Gewalt gegenüber Frauen und feminisierten Körpern (wie etwa bei Trans-Frauen) die Bewegung Ni Una Menos (Nicht eine weniger) bildete. Schon bald entwickelte die Bewegung eine neue Organisations- und Aktionsform: den feministischen Streik. In Südamerika war die Zahl der Teilnehmer*innen schon bald so hoch, dass Verónica Gago, die als Theoretikerin in und Aktionistin die Streiks mitorganisierte, begleitete und dokumentierte, schreibt: „In den letzten Jahren hat die feministische Bewegung die ganze Erde zum Beben gebracht.“ Bis zu 800 000 Frauen waren in manchen Städte Süd- und Lateinamerikas bei den Demonstrationen zum F*-Streik-Tag am 12. Juni und zum Frauentag am 8. März auf der Straße. Und obwohl es auch in Spanien massive F*Proteste gab, wurde in europäischen Medien kaum darüber berichtet.

 

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F*Streik Graz trat am 8. März 2020 erstmals als Gruppe in Erscheinung, und das gleich ziemlich präsent. Das Demo-Bündnis, das die alljährliche Frauendemo ausrichtet, hatte F*Streik den vordersten Platz eingeräumt, um der neuen Initiative zu mehr Sichtbarkeit zu verhelfen. Mit dem Spruchband „Wenn wir streiken steht die Welt still“ wurde ein Slogan ausgewählt, der für alle Demonstrierenden mit tragbar war. Denn das „Wir“ in diesem Spruch meint nicht nur CIS-Frauen, sondern alle schließt alle mit ein – vor allen Dingen die vielen prekären oder komplett unbezahlten Care-Tätigen. Ersichtlich wird das unter anderem am Logo, das nicht (mehr) die Faust im Frauenzeichen zeigt, sondern die Faust in einem Zeichen, das alle Gender inkludiert.

 

Gewalt an Frauen*

Unzulänglich bezahlte Arbeitsverhältnisse, zu wenig Anerkennung für Familienarbeit, Unterdrückung in patriarchalen Verhältnissen, Pro-Choice (um den zunehmend wieder demonstrierenden abtreibungsfeindlichen Extremchrist*innen etwas entgegen zu setzen) – all das sind Themen, mit denen sich F*Streik beschäftigt. Doch das Haupt-Thema ist, ganz dem Vorbild aus Südamerika folgend, Gewalt gegen Frauen*. Dabei beschränkt sich F*Streik – im Gegensatz zum übereilten Maßnahmenpaket der Bundesregierung – nicht auf stärkere Handlungsoptionen gegen Täter. Vielmehr steht, ähnlich wie beim BDF (Bund Demokratischer Frauen), die Prävention durch Kratzen an den Ursachen im  Vordergrund. Ökonomische Gründe spielen nicht selten eine Rolle, wie etwa eine Antwort bei informellen BDF-Umfrage zum Equal-Pay-Day zeigte. Auf die Frage: „Was würden Sie tun, wenn Sie so viel verdienen würden wie ihr Mann“, antwortete eine Frau: „Ihn verlassen.“ F*Streik ist daher klar antikapitalistische und kämpft in antirassistischer Weise gegen das auch von Regierungsparteien häufig verbreitete Vorurteil, dass Männergewalt „importiert“, also von Migranten ausgehend, sei.

 

F*Streik ist zu hören

F*Streik ist nicht nur immer häufiger zu sehen, F*Streik ist auch inmitten von Demobündnissen leicht zu hören. Wichtiges und ziemlich einzigartiges Mittel, um die Inhalte in der Öffentlichkeit zu verbreiten, sind nämlich die so genannten Mobi-Audios. Das sind selbst produzierte Tondokumente, die bei den Demos abgespielt werden. Damit wird, wie etwa mit der Website F*Streik Graz auch, ganz nebenbei jegliches Stereotyp, dass Frauen nicht gut im Umgang mit der Technik seien, widerlegt. Denn solche Qualität muss man(n) erst mal finden.

Christine Braunersreuther und Doris Berger

 

Die „Acht Thesen zur Feministischen Revolution“, wie sie Verónica Gago formuliert hat, lassen sich kurz zusammen fassen:

1.  Mit dem Instrument des feministischen Streiks sollen Formen der Ausbeutung von Körpern und Territorien sichtbar gemacht werden. F*Streik erklärt sich damit solidarisch mit all jenen, deren Arbeit prekär, abgewertet und nicht mit arbeits- wie menschenrechtlicher Legalität vereinbar ist.

2. Der Gewaltbegriff des Aktionismus bezieht sich nicht nur auf körperliche Gewalt an Frauen* und längst nicht mehr nur auf häusliche Gewalt, die ursprünglich Ursache für den Zusammenschluss unter Ni Una Menos war. Der Gewaltbegriff beinhaltet auch ökonomische, arbeitsbezogene, institutionelle, polizieiliche, rassistische und koloniale Gewalt.

3. F*Streik ist eine Massenbewegung und zugleich radikal.

4. Die Bewegung hat eine neue Kritik der politischen Ökonomie angestoßen, die gegenwärtige kapitalistische Verfahrensweise verurteilt.

5. F*Streik demontiert den Gegensatz zwischen Reform und Revolution. Sie richtet bestehende (politische) Institutionen neu aus UND schafft eigene autonome Netzwerke.

6. Ein neuer Institutionalismus entsteht, dessen Handlungsmacht im Globalen Süden angesiedelt ist.

7. Die neue, transnationale feministsche Kraft stellt sich einem konservatif-neoliberalen Gegenangriff, der  auf drei Ebenen geführt wird: militärisch, wirtschaftlich und religiös.

8. F*Streik sagt neuen Formen der Ausbeutung, wie etwa durch das abstrakte Finanzkapital, den Kampf an.

25. Mai 2021