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Fliegen vs. Bahn – Fakten und Vorurteile

Zehn Forderungen für klimaschonendes Reisen

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Man muss nicht unbedingt die Masse der Menschen, insbesondere weniger privilegierte Reisende, schikanieren oder moralisch mit „Flugscham“ belegen, sagt unser Gastautor Cengiz Kulaç. Er erhebt zehn faktenbasierte Forderungen. CCß pxhere

Am Flugreisen muss sich vieles radikal ändern. Das ist aber kein Grund, in der Klimapolitik mit Kanonen auf Spatzen zu schießen. Scham und schlechtes Gewissen waren nie gute Ratgeber für persönliche wie politische Entscheidungen – und so trifft das auch auf das Modewort „Flugscham“ zu. 

Zeit und finanzieller Aufwand werden oft herangezogen, um die Bevorzugung des Flugzeugs gegenüber der Bahn zu argumentieren. Beim Zeitaufwand gestaltet es sich sehr unterschiedlich. Was den finanziellen Aufwand betrifft, kann festgehalten werden: Fliegen ist im Schnitt nicht billiger als Bahnfahren.
Je nach Distanz ist das Flugreisen nicht wesentlich schneller, da zumeist Bahnhöfe schneller zu erreichen sind als Flughäfen, sowie Check-in, Security-Check, Boarding deutlich mehr Zeit in Anspruch nehmen als bei Bahnreisen, oder bei Bahnreisen sogar entfallen. Das trifft vor allem auf Kurzstreckenflüge zu.

Bei den Billig-Airlines sind vor allem Preise auf beworbenen Strecken besonders günstig. Die Preise sind allerdings je nach Buchungszeit und Auslastung sehr beweglich. Gespart wird bei Billig-Airlines beim Personal und dessen Gehältern. Regelmäßig hört man daher aus Medien über die miserablen Arbeitsbedingungen in diesem Teil der Flugbranche. Das Prestige der Arbeit in der Luft täuscht oft über die Realität hinweg. 

Für Flugreisende kommt hinzu, ob man zeitlich flexibel ist oder Termindruck hat, alleine oder mit Familie reist. Außerdem gibt es oft versteckte Kosten: Gepäck, Essen, Check-in Gebühren bei Schalter-Check-in. Die Flughäfen, die die Diskont-Fluglinien ansteuern sind zudem oft Nebenflughäfen, zu denen An- und Abreise zusätzlich mehr Zeit und Geld beanspruchen. Gerade die meisten ArbeitnehmerInnen buchen danach, wann Sie frei bekommen und nicht zu welchem Zeitpunkt es den günstigsten Flug gibt. Nur ein kleines Segment des Arbeitsmarktes kann so flexibel sein. Je zeitlich eingeengter, desto teurer. 

Nun ist das kein Argument dafür, dass Bahnreisen in Wirklichkeit günstig wären oder per se ein Argument gegen Kerosin- oder Flugsteuer. Nichtsdestoweniger sollte man Forderungen an Fakten knüpfen und nicht an Vorurteile. Außerdem sollte bei der viel kritisierten Steuerbegünstigung des Flugreisens gefragt werden, wem diese Begünstigung nutzt und wen eine etwaige Massensteuer trifft. 

  1. Etwa ein Drittel der Flüge sind Geschäftsreisen geschuldet. Viele Geschäftsreisen sind – abhängig von der jeweiligen Branche – unnötig, nicht erst seit der Digitalisierung, sondern seitdem auf Geschäftsreise zu sein an Prestige eingebüßt hat. Außerdem schont es Angestellte.
  2. Anstatt mit einer Flat-Tax und sozial ungerechten Massensteuern Reisenden das Reisen weniger erschwinglich zu machen, wäre es sinnvoll, bei Flugreisen die Business Class höher zu besteuern und Fluglinien für Leerflüge oder geringere Auslastung zu Strafzahlungen zu verpflichten.
  3. Derzeit finanziert die zweite Klasse die erste Klasse bei Bahnreisen. Das sollte umgekehrt sein! Die erste Klasse gehört verkleinert und anteilig teurer gemacht.
  4. Inlandsflüge oder sogar innereuropäische Flüge wären noch unnötiger, wenn Bahnstrecken beschleunigt werden würden. Das wäre auch ein Infrastrukturprojekt, das sich wirtschaftlich enorm rentieren würde.
  5. Menschen sollen Reisen machen können und die Welt kennen lernen! Allerdings muss das gegenwärtig dominierende Konzept des Reisens und Tourismus allgemein hinterfragt werden. Die Behauptung, dass Tourismus wirtschaftlich gut für die Bevölkerung vor Ort ist, dadurch Arbeitsplätze geschaffen würden und Wohlstand einkehre, ist überwiegend eine Chimäre. Tourismus ist auch ein Faktor für hohe Mieten und höhere Lebenserhaltungskosten, dient als Argument für die Verdrängung von Obdachlosen und BettlerInnen im öffentlichen Raum. Die Umweltverschmutzung vor Ort hat oft enorme Sanierungskosten zur Folge, staatliche Investitionen in Tourismus führen oft zu höherer Verschuldung bei gleichzeitig geringen Einnahmen – Korruption und Folgekosten bei Flächenwidmungen inklusive.
  6. Es braucht eine Kontingentierung von Privatreisen. Jeder soll unabhängig vom Einkommen fliegen können, aber nur eine begrenzte Anzahl an Flugmeilen haben. Individuelle Bedürfnisse, wie Familienverhältnisse und Partnerschaften sollten dabei berücksichtigt werden. Geschäftsreisen gehören auch für Unternehmen kontingentiert und bei Überschreitung mit einer progressiven Steuer belegt.
  7. Privatjets gehören verboten.
  8. Die Fluggesellschaften gehören verstaatlicht. Dann funktionieren Preissteuerung und Kontingentierung auch besser. Sie waren ja schließlich auch einmal in öffentlicher Hand. Während Bahn- und Nahverkehr vielfach in staatlichem oder kommunalem Eigentum sind, wurde der Flugverkehr aus der Hand gegeben. 
  9. In der Bereitstellung von Infrastruktur – sei es beim Fliegen oder auch der Bahn – sollte vernetzter gedacht werden. Das betrifft den Bedarf von Nebenflughäfen, wie auch die schnelle Verknüpfung verschiedener Flughäfen miteinander. 
  10. In der Debatte sollte insgesamt auch die Verhältnismäßigkeit berücksichtigt werden. Zieht man Geschäftsreisen, die enorme Umwelt-Belastung durch militärische Flüge und Flugshows, den Verbrauch bei Privatjets ab, minimiert sich der CO2-Anteil für Privatreisen noch einmal. Das Gesamtaufkommen der Emissionen aller Flugreisen belaufen sich auf ca. 5 Prozent. Die Hauptquellen sind hingegen Transport, PKW-Verkehr und Agrarwirtschaft. Aber auch hier geht es nicht darum, die Verantwortung auf den einzelnen zu schieben, sondern wegweisende Veränderungen in der Politik zu treffen, die Menschen das Leben leichter machen, ohne dabei das Klima zu schädigen. 

Man muss also nicht die Masse der Menschen – insbesondere weniger privilegierte Reisende – schikanieren oder moralisch mit „Flugscham“ belegen, um das Problem zu lösen.

 

Cengiz Kulaç war Vorsitzender der ÖH Uni Graz (2009–2011) und Bundessprecher der Jungen Grünen (2012–2015). Heute ist der Grazer aufmerksamer aber parteiloser Beobachter der politischen Landschaft. 

9. August 2019