Euro-Nationalismus

Facbook Eintrag von Fabian Lehr

Originaleintrag

 

Der von liberalen Intellektuellen, linksliberalen bürgerlichen Großmedien und den politischen Spitzen der Kernstaaten der EU zumindest rhetorisch beschworene europäische Nationalismus ist nicht nur ein Nationalismus ohne einen Nationalstaat, auf den er sich bezieht, er ist auch ein künstliches Elitenphänomen ohne jeden Rückhalt in nennenswerten Bevölkerungsschichten. Eine "europäische Identität" mag es unter einer kleinen Minderheit von liberalen Publizisten, unter einigen tausend Erasmusstudis und unter irgendwelchen europanationalistischen Künstlern und Schriftstellerngeben, aber sonst kaum irgendwo. Die nationalen Identitäten sind, so stellen Studien eindeutig fest, in den letzten Jahrzehnten nicht nur stabil geblieben, sie sind stärker geworden. Identifikation mit ihrem Nationalstaat nimmt für die meisten EuropäerInnen heute eine zentralere Stellung ein als vor einer Generation. Und, noch frappierender: Nicht nur die Identifikation mit dem Nationalstaat, sondern auch die kulturellen Unterschiede zwischen den verschiedenen europäischen Staaten werden größer und nicht kleiner.

Daran zeigt sich deutlich, wie dumm und falsch es ist, davon zu schwadronieren,die EU sei zwar nicht perfekt, aber die Alternative "zurück zum Nationalstaat" ja noch viel schrecklicher. Die EU hat die Nationalstaatenin Europa nicht nur nicht aufgehoben (Und zu etwas, das nie aufgehoben wurde, kann man eben nicht "zurückkehren"), sie verstärkt im Gegenteil die Kluft zwischen den europäischen Ländern und die nationalistische Abgrenzung ihrer Bevölkerungen voneinander. Die EU ist ein Binnenmarkt mit Zoll- und partieller Währungsunion ohne politische Einheit. In einem solchen System, in dem die Nationalstaatenweiterbestehen und ihre Souveränität auf allen Feldern abgesehen von Außenhandel und Währungspolitikbehalten, muss notwendig das Kapital der wirtschaftlich am höchsten entwickelten und wettbewerbsfähigsten Länder das Kapital der wirtschaftlich schwächeren und weniger wettbewerbsfähigen Länder kannibalisieren, die ihre Unternehmen in einem solchen Binnenmarkt mit gemeinsamer Währung nicht mehr durch Zölle und Währungsabwertungen gegen die überlegene Konkurrenz schützen können. In einem solchen System wirtschaftlicher Einigung ohne politische Einigung und ohne gemeinsame Wirtschafts- Fiskal- und Sozialpolitik saugt das Zentrum die Peripherie immer weiter aus. Das erzeugt wachsenden Hass der verarmenden Bevölkerung der Peripheriestaaten auf das sich mästende imperiale Zentrum. Und in der EU, in der es keine gemeinsame EU-Regierung und kein echtes gemeinsames Parlament gibt, sondern alle wichtigen Entscheidungen auf Konferenzen der nationalstaatlichen Regierungschefsfallen, wobei sich fast immer die Regierung des Hegemons Deutschland durchsetzt, ist es auch nicht möglich, dass die Bevölkerung der Peripherie eine ihre Interessen vertretende andere Politik auf EU-Ebene wählt. Wirklichen politischen Einfluss haben die Massen nur auf nationaler Ebene durch Wahl ihres nationalen Parlaments und ihrer nationalen Regierung, die somit den einzigen möglichen Schutzschild gegen die Verelendungspolitik und das Spardiktat der von Deutschland beherrschten EU darzustellen scheinen. Verstärkte Bindung an den Nationalstaat scheint einleuchtend als Reaktion auf die ständigen Angriffe der EU gegen die Volkswirtschaften und die Sozialsysteme der Peripheriestaaten.

Die politische Wirkung der EU ist also: Sie verschärft die ökonomischen Gegensätze innerhalb Europas, treibt die Peripheriestaaten und das Zentrum auf Konfrontationskurs, stärkt damit die nationalistische Identität und Identifikation mit dem Nationalstaat und hetzt die Bevölkerung der einzelnen Gliedstaaten gegeneinander auf. Resultat der EU-Krisenpolitik ist, dass von Berlins Verarmungsdiktat betroffene GriechInnen deutsche Flaggen verbrennen und Merkel mit Hitler vergleichen und deutsche Medien faule "Pleitegriechen" verhöhnen und über die Minderwertigkeit der leistungsscheuen, unverschämten mediterranen Kultur philosophieren.Je länger die EU noch besteht, desto stärker werden nationalistische Identitäten und nationale Konflikte. Die EU ist nicht der Schutzwall gegen die Europa durchbrausende reakionäre nationalistische Welle - sie ist zu einem großen Teil deren Ursache.

"Sie weist in eine andere Richtung: Wenn man die Leute in Europa fragt, ob sie eine europäische Identität haben, zeigt sich, dass die nationale Identität die stärkste Komponente der Identität bleibt. Diese nationale Identität ist in den vergangenen 30 Jahren zudem signifikant stärker geworden.[...]
Zurück zu Europa: In Ihren Studien kommen Sie zu dem Schluss, dass in den letzten 30 Jahren die kulturellen Differenzen zwischen Europas Staaten grösser geworden sind. Das überrascht. Immerhin blicken wir auf Jahrzehnte europäischer Integration zurück. Und diese Integration wollte die Länder einander doch näherbringen.

Ja, das Resultat hat auch mich überrascht. Trotz Integration sind wir uns nicht ähnlicher geworden. Der Anstieg des Handels, die gemeinsame Währung, die höhere Mobilität gingen vielmehr mit einem Anstieg der kulturellen Unterschiede einher. Das Ergebnis hat vielleicht damit zu tun, dass die Integration zu einer wirtschaftlichen Differenzierungführt: Der Süden Europas spezialisierte sich auf traditionelle Sektoren, wo vertieftes Wissen weniger wichtig ist. Und der nördliche und modernere Teil Europas konzentrierte sich auf fortschrittliche Branchen, die effiziente Institutionen voraussetzen. Das könnte die Annäherung abgeschwächt haben."

24. Januar 2019