Dieter Klein, Roosevelt, Deng Xiaoping und Lenin

Von Franz Parteder

Der Gesellschaftswissenschaftler Dieter Klein stellt in der Zeitung Neues Deutschland am 20. Oktober 2020   die Frage, „was wir aus der Bewältigung früherer einschneidender Krisen lernen können.“

Er sieht die aktuelle Coronakrise in einer Reihe mit der Weltwirtschaftskrise ab 1929 und mit der Sackgasse des maoistischen Entwicklungsmodells Ende der Siebzigerjahre des 20. Jahrhunderts.

Er nennt den US-Präsidenten F. D. Roosevelt und den chinesischen Kommunisten Deng Xiaoping  als politische Führer, die in der Lage waren, in einer schweren Krise neue Wege zu gehen. Beide hätten mit veralteten Vorstellungen gebrochen und hätten langdauernde Veränderungen angestoßen: Roosevelt den New Deal, Deng die chinesische Variante des Sozialismus, der die politische Herrschaft der KP mit einer hybriden Struktur von sozialistischem und kapitalistischem Eigentum, von staatlicher Planung und kapitalistischer Konkurrenz verbindet.

Beide seien mit ihrem kühnen Veränderungswillen erfolgreich gewesen .

Dieser Veränderungswille fehlt laut Dieter Klein dem deutschen Establishment völlig. Deshalb habe  die gesellschaftliche und parteipolitische Linke die Aufgabe, durch Druck von unten  „Teilen der Machteliten Freiräume für eine rationalere, problemlösende Politik zu öffnen und eine sozial-ökologische Transformation einzuleiten“.

 

Ist das – vom Standpunkt unserer Bewegung aus – kühn gedacht? Im Gegenteil: Während sich immer deutlicher abzeichnet, dass wir auf eine gesamtgesellschaftliche Krise zusteuern, die von den herrschenden Eliten nicht mehr auf die alte Weise bewältigt werden kann, begnügt sich ein Vordenker der deutschen Linkspartei damit, die Rolle der „pluralen Linken“ auf den Part des Stichwortgebers für Teile der Machteliten zu reduzieren.

 

Hier haben wir es mit einer Adaptierung des Konzepts einer Reformalternative im bestehenden gesellschaftlichen System zu tun, das von Dieter Klein und anderen seit der Endphase der DDR vertreten wird. Obwohl einige Voraussetzungen dieses Konzeptes weggebrochen sind – erinnert sei nur an die These vom friedensfähigen Kapitalismus – und die aktuelle Krise die Natur des finanzgetriebenen Kapitalismus so deutlich zeigt wie schon lange nicht mehr, hält er noch immer daran fest.

 

Deshalb ist es kein Versehen, dass Dieter Klein eine besonders einschneidende Krise und ihre Konsequenz in seinem Artikel nicht erwähnt: Das waren der 1. Weltkrieg und die russische Oktoberrevolution. Wladimir Uljanow (Lenin) zeigte damals einen besonders kühnen Veränderungswillen. Die politische Macht des Kapitals wurde an ihrem schwächsten Kettenglied gebrochen. Noch heute sind die positiven Wirkungen dieser Veränderung nicht völlig erschöpft. Auf der einen Seite gibt es China und andere Staaten, die am Weg der sozialistischen Entwicklung festhalten, auf der anderen Seite konnten die Angriffe des Großkapitals den Sozialstaat in Europa, der in der Systemkonkurrenz entstanden war, nicht vollends zerstören.

 

Die Erinnerung daran, dass tiefe gesellschaftliche Krisen revolutionäre Situationen möglich machen können, ist keine Spielerei. Selbst Dieter Klein betont in seinem Artikel: „Auch in Deutschland droht den Herrschenden ein Kontrollverlust.“ Er zieht aber bewusst eine andere Schlussfolgerung. Dabei kennt er als ehemaliger SED-Wissenschaftler die Definition der revolutionären Situation, die Lenin seinerzeit gegeben hat, wahrscheinlich in- und auswendig.

 

Deshalb weiß er auch, dass der Kontrollverlust der Herrschenden nicht genügt, die Menschen müssen die herrschenden Zustände nicht mehr mittragen wollen. Und es muss eine Kraft geben, die kühn und organisiert genug ist, um der Entwicklung eine Wende zu geben, die im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung ist. Der Druck von unten oder eine rot-grüne Regierung reichen nicht aus, wenn es ums Ganze geht.

21. Oktober 2020