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Die Zukunft der Neutralität

Die Rede von Elke Kahr bei der Festveranstaltung der KPÖ Steiermark am Nationalfeiertag

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Das Geld, das für Rüstung ausgegeben wird, fehlt bei Gesundheit, Pflege, Bildung oder Wohnen, hält die Grazer KPÖ-Obfrau Elke Kahr bei ihrer Rede am Nationalfeiertag fest. Simon Gostentschnigg

Liebe Festgäste, liebe FreundInnen und GenossInnen!
Ich freue mich sehr, euch heute im Namen der steirischen KPÖ im Volkshaus begrüßen zu dürfen.

Unser Neutralitätsfeiertag am 26. Oktober hat schon eine sehr lange Tradition. Seit 1977 war es uns nur einmal – 2020 wegen Corona – nicht möglich, an diesem Tag zusammen zu kommen, um den Jahrestag des Nationalratsbeschlusses über die immerwährende Neutralität Österreichs gebührend zu würdigen und zu feiern.

Heute können wir auch auf den größten Wahlerfolg in unserer Geschichte anstoßen. In Graz sind wir seit genau einem Monat wirklich die stärkste der Parteien, wie es in der Internationale heißt. Wir alle können uns an den Moment erinnern, als wir das zum ersten Mal erfahren haben. Und uns ist bewusst wie viel Arbeit dies auch bedeutet.

Die Verwaltung der zweitgrößten Stadt Österreichs in einer Koalition mit den Grünen und der SPÖ ist keine leichte Aufgabe, vor allem, weil man sich immer wieder daran erinnern muss, dass die gesellschaftlichen Verhältnisse sich ja nicht geändert haben. Und es gibt sehr, sehr viele Kräfte an den Schalthebeln der Macht, die alles daransetzen werden, uns scheitern zu sehen. Mit Besonnenheit, Freundlichkeit und dem stetigen Bemühen, den Menschen zu ihrem Recht zu verhelfen, werden wir aber auch diese Aufgabe meistern. 

Deshalb brauchen wir aber gerade jetzt eure Solidarität und auch eure Hilfe. Gemeinsam sind wir stark und gemeinsam können wir auch diese Herausforderung – die größte, die wir bisher zu bewältigen hatten –erfolgreich bestehen.


Die Zukunft der Neutralität

Aber liebe FreundInnen und GenossInnen, das ist natürlich nicht das Thema des heutigen Tages. Es geht heute um die Zukunft der Neutralität unseres Landes. Diese Neutralität ist vor genau 66 Jahren beschlossen worden. Sie ist eine Folge des österreichischen Staatsvertrages. Der Friedensforscher Thomas Roithner hat in diesem Zusammenhang an ein Lied von Udo Jürgens erinnert: Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an. Ihr kennt den Text sicher.

Wie schaut es aber mit dem Überleben der österreichischen Neutralität nach 66 Jahren im Rahmen der EU aus? Nicht sehr gut, das muss man an dieser Stelle eindeutig sagen:

Die Gefahr von Kriegen wird von Jahr zu Jahr größer. Und es geht dabei nicht mehr „nur“ um lokale Auseinandersetzungen, und sogenannte Stellvertreterkriege. Wenn man die Aussagen der führenden Kräfte in der NATO und den USA genau liest, dann merkt man eines: Hier geht es darum, große Kriege gegen China oder gegen Russland führbar zu machen.

Die EU ist dabei nicht anders. Hier werden die Stimmen immer lauter, die den Kurs auf eine Supermacht EU durch immer stärkere Aufrüstung unterstützen wollen. Und das offiziell immerwährend neutrale Österreich ist Mitglied dieser EU.

Die EU will nach dem Afghanistan-Debakel ihren Aufrüstungskurs beschleunigen und noch enger mit der NATO zusammenarbeiten. Das hat Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am 15. September vor dem EU-Parlament verkündet. Europäische Rüstungsgüter sollen von der Mehrwertsteuer befreit werden. Im ersten Halbjahr 2022 soll es einen Gipfel zur „Europäischen Verteidigung“ geben, der diesen Aufrüstungskurs festschreiben soll. Es wäre Zeit für eine Verteidigungsunion, so wortwörtlich Ursula Van der Leyen. 


Kriegsvorbereitung

In Zukunft will die EU sogar Drohnenkriege selber führen. Bis 2027 soll mit Milliardenaufwand eine eigene Euro-Drohne aus der Taufe gehoben werden. Die Finanzierung erfolgt unter anderem über einen eigenen EU-Rüstungstopf, in den auch Österreich einzahlt.

Am 22. März 2021 geschehen. hat die EU ihre Regelungen für eine „Europäische Friedensfazilität“ (EFF) beschlossen. Man könnte meinen, dass es dabei um die Unterstützung von Friedensinitiativen und Abrüstungsaktivitäten geht. Weit gefehlt: Über die „Europäische Friedensfazilität“ sollen Militäreinsätze und Rüstungsexporte finanziert werden.

Insgesamt geht es hier um einen Betrag von rund 5,7 Milliarden Euro, mit dem künftig bis zu 40 Prozent der Kosten von EU-Militäreinsätzen abgewickelt werden sollen, um künftig buchstäblich schneller zu den Waffen greifen zu können.

Für die EU bedeutet „Friedensfazilität“ den Weg zu einer schnelleren Kriegsvorbereitung. Dabei geben die großen EU-Mitgliedsstaaten schon jetzt Jahr für Jahr mehr für die Rüstung aus: In Frankreich waren es im Vorjahr 55 Mrd. und in Deutschland mit 51,3 Mrd. US-Dollar.
 

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Seit 1977 erinnert die steirische KPÖ mit einer Festveranstaltung an die Wichtigkeit aktiver Neutralitätspolitik. Simon Gostentschnigg

Geld für Rüstung fehlt bei Gesundheit, Pflege, Bildung oder Wohnen

Dass alles, liebe FreundInnen, hat mit der Neutralität Österreichs nichts mehr zu tun. Der Aufschrei bzw. die Empörung in der österreichischen Öffentlichkeit ist aber ausgeblieben. Und das im Wissen, dass diese Gelder uns dringend für Bereiche wie Gesundheit, Pflege, Bildung oder Wohnen fehlen.

Millionen von Menschen in den Ländern Europas und auch in unserem Land haben es sehr schwer und kämpfen ums Überleben, sie brauchen Initiativen für Arbeitsplätze und gegen die Arbeitslosigkeit. Stattdessen will man die EU zu einer hochgerüsteten Supermacht ausbauen. Und es ist bezeichnend und schlichtweg zynisch: Dass für Panzer und Raketen künftig die Mehrwertsteuer wegfallen soll, nicht jedoch aber für Mieten oder für Grundnahrungsmittel.

Und die österreichische Bundesregierung macht ganz bewusst bei diesem Kurs mit, unterstützt von sich häufenden Meldungen in den Medien über die „schwache“ EU, die zwischen den USA und China am Untergehen wäre. Statt auf Friedenspolitik setzt man auch in Österreich auf Rüstungspolitik.

Ich finde, wir müssen die Menschen in unserem Land wachrütteln und den Schleier vor dem Geheimnis lüften, in dem Kriege vorbereitet werden. Das ist nicht leicht, vor allem im Wissen, dass viele Leute ganz andere Alltagssorgen haben und nicht mit diesen schweren Gedanken konfrontiert werden wollen. Dieses Wachrütteln ist auch noch viel schwieriger, als einen Wahlerfolg in einer Stadt wie Graz zu erkämpfen.

Aber, liebe GenossInnen, es ist notwendig. Und deshalb haben wir auch immer wieder in unserem Grazer Stadtblatt nicht darauf verzichtet, über die Aufrüstungsschritte der EU zu informieren. Es ist wichtig, dass wir alles daransetzen, dass unsere Kinder in einem friedlichen Umfeld aufwachsen, das nicht von Hass und Ausgrenzung geprägt ist. Dass ohne Frieden alles nichts ist. Dass es niemals das Interesse der Menschen in welchem Land auch immer sein kann, Kriege zu führen. Dass Aufrüstung und Milliarden an Geldern für den Kauf von Waffen immer bedeutet, dass damit auf dieser Welt Menschen getötet werden sollen – für die Interessen der Konzerne und deren Profite.

Österreich hat geschworen, den Pfad dieser Völkerverständigung zu gehen – durch unsere Neutralität. Das ist eine der größten Errungenschaften in unserem Land, und wird noch immer von der überwiegenden Mehrheit geteilt. Und wir werden uns als KPÖ auch weiterhin für die Neutralität einsetzen und dafür dass dieser Weg nicht verlassen wird – ohne Wenn und Aber und mit Leidenschaft.
 

Give Peace a Chance

Das Motto unserer Veranstaltung heißt auch deshalb: „Give Peace a Chance“. Dieses Lied unterstützt seit dem Jahr 1969 weltweit die Friedensbewegung. Wenn der Frieden weltweit eine Chance haben soll, dann müssen die Menschen überall für die Abrüstung und gegen die Kriegsgefahr aktiv auftreten.

Ich werde immer wieder gefragt, welche Vorbilder ich für meine Arbeitsweise habe. Meine Antwort darauf: Das sind Menschen wie Franz Leitner, die mutig gegen den Faschismus gekämpft haben und dabei Menschenleben gerettet haben. Er hat deshalb den Menschenrechtspreis des Landes Steiermark erhalten und es gibt seit einer Woche nicht weit von uns in der Lagergasse 29 eine Gedenktafel, die von der Jüdischen Kultusgemeinde gestiftet wurde. Auf solche Vorbilder können wir stolz sein!

In Graz haben wir jetzt besondere Möglichkeiten. Es gibt seit 1984 auf Initiative der damaligen Friedensbewegung und von Ex-Bürgermeister Stingl das Grazer Friedensbüro. In den letzten Jahren hat es sich vor allem mit dem interreligiösen Dialog beschäftigt. Dieser Dialog ist wichtig.

Ich halte es jedoch auch für sinnvoll und notwendig, den Nationalfeiertag 2022 als Stadt Graz in das Zeichen der Neutralität zu stellen, öffentlich darauf hinzuweisen z.B. mit einer Kulturveranstaltung und einer Tagung mit FriedensforscherInnen durchzuführen. Damit die Neutralität unseres Landes eine gute Zukunft hat, sollten Städte wie Graz ein Zeichen dafür setzen.
 

Druck von unten ist nötig

Wir als Partei sollten uns aber nicht darauf verlassen, dass Frau Elke im Bürgermeisteramt jetzt alles im Sinne der Bevölkerung regeln kann. Ohne Druck von unten in die richtige Richtung würde uns nämlich bald die Luft ausgehen.

Deshalb sind Veranstaltungen wie die heutige auch so wichtig. Wir haben das in der Vergangenheit so gehalten und wir werden das noch viel mehr für unsere Zukunft brauchen. Wir müssen selbst immer wieder Kraft schöpfen, um für die Menschen, die es brauchen, auch da sein zu können. Und das wie immer liebe FreundInnen und GenossInnen, mit Empathie, Freundlichkeit und Widerstand.

Ich wünsche Euch allen eine schöne Festveranstaltung – Glück auf! Und: Give Peace a Chance!

28. Oktober 2021