"Die Gitti aus dem Gemeindebau hält das schon aus"

Christine Braunersreuther findet es gar nicht lustig, wenn von der Armut bedrohte Frauen als Testimonials für eine pseudodemokratische, antiökologische Argumentation herangezogen werden

ohne die Frage zu stellen, was gegen Frauenarmut unternommen werden kann.

 

Zum Artikel: Lasst uns weiterfliegen! Von Bernd Vasari in Wiener Zeitung 4.11.2019

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Ich bin wirklich enttäuscht, dass nach dem so falsch kontextualisierten Gastkommentar von Christian Ortner im Juli nun ein weiterer, ebenso falscher, pro-Flug-Artikel, diesmal von einem Redakteur, in der Wiener Zeitung erschienen ist. Vasaris Artikel, der sein Plädoyer für mehr Fliegen mit Demokratisierung begründet, empfinde ich als puren Zynismus. Demokratie ist nämlich nicht, sich einen Billigflug leisten zu können, sondern bedeutet genug zu verdienen um selbst zu entscheiden, was man mit diesem Geld machen will. Vasaris Gitti aus dem Gemeindebau hat Glück, dass sie eine Gemeindewohnung hat, denn so ist sie – vielleicht ist sie ja Altenpflegerin oder Stewardess bei Laudamotion und verdient nur 1000,- brutto im Monat – nicht dazu gezwungen, in einer Wohnung nahe dem Flughafen zu leben, wo sie den Lärm der Billigflieger ertragen müsste.

Fliegen um neue Tourismusregionen zu erschließen. Entschuldigung, aber diese Argumentation ist purer Schwachsinn. Kein Billigflieger wird jemals das abgelegene Tal in Rumänien anfliegen, so schön es auch sein mag. Was dort wirklich helfen würde, um den Tourismus anzukurbeln, wäre ein gut ausgebauter öffentlicher Nahverkehr. Der wäre nicht nur nützlich für Wandertourist_innen, sondern auch für die örtliche Bevölkerung, die damit zum Arbeitsplatz im Tourismus kommen könnte. Denn leider bringen diese Arbeitsplätze meist nicht genug Verdienst ein, um sich damit ein Auto leisten zu können. Vom Fernverkehr ganz abgesehen. Derzeit dauert eine Zugfahrt nach Bukarest 19 Stunden – da war man vermutlich zu K&K-Zeiten schneller dort. Im Nebeneffekt könnte man damit den 24-Stunden-Personenbetreuerinnen, die großteils aus Rumänien nach Österreich kommen um Alte und Kranke zu betreuen, etwas mehr Komfort und eine Alternative zu überteurten Fahrdiensten verschaffen.

Doch das schlimmste Hirngespinst – ja die Bezeichnung vom Traum von warmen Eislutschern ist hier angemessen – ist Vasaris Hauptforderung: dass „nur“ ein umweltfreundlicher Treibstoff erfunden werden müsste. Wann bitte wurde durch die Industrie – und selbst universitäre Forschung ist derzeit von Drittmittelgeldern aus der Industrie abhängig – etwas erfunden, wenn nicht finanzieller oder politischer Druck gemacht wurde? Schuldig bleibt Vasari auch eine Antwort darauf, weshalb Kerosin als einziger Treibstoff kaum besteuert ist. Ist das nicht ganz simpel Wirtschaftsförderung, wenn Fluglinien aber indirekt auch große Firmen, die ihre Business-Vielflieger um die Welt (bzw. hauptsächlich auf unnötige Kurzstreckenflüge innerhalb Europas) schicken, weniger Steuern pro Liter Sprit zahlen als Gitti für das, was sie in den Ölofen ihrer Gemeindewohnung schüttet?

8. November 2019