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Der Lissabonner Vertrag der EU

Nicht in unserem Namen!

Demokratieabbau, Militarisierung und Zentralismus: Warum sich die Östereicherinnen und Österreicher gegen den sogenannten "EU-Reformvertrag" zur Wehr setzen.
Ein Beitrag von Andreas Wehr, "Die Linke"
Andreas Wehr

Lissabonner Vertrag vulgo EU-Reformvertrag

Nun also der Lissabonner Vertrag. Seit Rom werden die europäischen Verträge nach Städten benannt. Auf den Vertrag von Maastricht von 1992 folgte 1997 der von Amsterdam und im Jahre 2000 der von Nizza. Dies alles waren Änderungsverträge zu den Römischen Verträgen. Dann wollte man mit dieser Tradition brechen und beschloss den Vertrag über eine Verfassung für Europa. Dies war von Aufbau und Gliederung her ein ganz neuer Text. Nun kehrt man zur alten Praxis des Änderungsantrags zurück. Das ist weit mehr als eine Marginalie.

Die Folge davon ist zunächst, dass der Lissabonner Vertrag so gut wie unlesbar ist, denn aufgeführt werden eben nur die Änderungen und die können aus nur einem Halbsatz oder gar nur aus einem Wort bestehen. Wenn man sie nicht mit den geltenden Verträgen, dem EU- und dem EG-Vertrag abgleicht, erfährt man gar nichts. Und bei dieser Detektivarbeit können selbst Europarechtler schon mal die Übersicht verlieren. Der Verfassungsvertrag war da etwas Neues. Er nahm die bestehenden Verträge nebst Änderungen in einem geschlossenen, neuen Text auf. Wer es darauf anlegte, konnte also die 482 Seiten in einem Stück lesen. Ein solches Studium ist nun beim Lissabonner Vertrag ausgesprochen schwierig. Und es ist ein Skandal, dass es die deutsche Bundesregierung nicht für nötig hält, eine integrierte Fassung des Vertrags vorzulegen. So werden wohl die meisten Bundestagsabgeordneten einmal mehr über einen Text abstimmen, den sie nicht nur nicht verstehen, sondern den sie – selbst wenn sie es denn wollten – nicht einmal lesen können.

Mit dem Lissabonner Vertrag ist man zugleich zum Stil der Geheimdiplomatie und der Verhandlungen hinter verschlossenen Türen zurückgekehrt. Doch eigentlich sollte nach dem enttäuschenden Gipfel von Nizza alles ganz anders werden. Damals verständigte man sich darauf, dass ein öffentlich tagender Konvent einen Verfassungstext ausarbeitet. Zwar sah die Realität dann anders aus, denn das Konventspräsidium zog alle entscheidenden Dinge an sich und die Vertragsartikel wurden, wie es der luxemburgische Ministerpräsident Juncker so treffend formulierte, in der „dunkelsten Dunkelkammer“ ausgearbeitet. Und nie wurde auch über nur einen Artikel im Konvent offen abgestimmt. Es galt stets das, was Konventspräsident Giscard d`Estaing selbstherrlich verkündete. Aber der Anspruch auf Offenheit und Transparenz wurde zumindest hochgehalten. Jetzt, beim Lissabonner Vertrag, bemüht man sich nicht einmal mehr darum. Es waren allein die Regierungsbürokratien der Mitgliedsländer, die sich über ihn verständigten.  

Der Vertrag von Lissabon unterscheidet sich in nur wenigen Dingen vom Text des gescheiterten Verfassungsvertrags. Dies wird von den Regierungen auch gar nicht bestritten. So hat etwa Angela Merkel erklärt, dass „die wesentlichen Inhalte erhalten geblieben sind“. Weggefallen sind aber alle Bezüge auf eine Verfassung. Den Begriff Verfassung lässt man nun wie eine zu heiß gewordene Kartoffel fallen. Auch die Symbole der Union, wie Flagge, Hymne, Gedenktag und Leitspruch, fehlen. Nur so glaubt man, Volksabstimmungen umgehen zu können. Giscard d´ Estaing hat in einem Leserbrief an den britischen Observer vom 29.10.07 offen eingestanden, dass damit der Zweck verfolgt wird, „ein Referendum zu vermeiden dank der Tatsache, dass diese Artikel verstreut und deren Verfassungsvokabular entfernt wurden“. Man wird sehen, ob diese zynische Rechnung aufgeht.    

28. März 2008