Corona, Krise, Kapitalismus

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Der Corona-„Lockdown“ Mitte März war ebenso notwendig, wie eine fundamentale Kritik an der Regierung Kurz II wichtig ist. Welche Aufgaben stehen nun vor uns KommunistInnen?


Big Money vs. Kleiner Virus. Der Fall Ischgl

Anfang März stellte sich nach und nach heraus, dass sich in Tirol rund um das Ski-Gebiet Ischgl ein österreich- und europaweiter Infektionsherd des Corona-Virus entwickelt hat. Rund ein Monat später wies die Gesundheitsagentur AGES nach, dass sich 57 Prozent (!) der Corona-Fälle in ganz Österreich nach Ischl zurückverfolgen lassen. Die Verfilzung der mächtigen Seilbahn- und Tourismus-Lobby mit der ÖVP-dominierten Tiroler Landespolitik haben dazu geführt, dass die dortigen Gesundheitsbehörden äußerst zögerlich auf die Gefahr reagiert haben – und mit ihrer Fahrlässigkeit eine gesundheitliche Gefährdung von zehntausenden Menschen in Kauf genommen haben. 

Bundeskanzler Kurz war darüber wohlgemerkt bestens informiert und plauderte am 25. Februar in London vor Journalisten über die Corona-Fälle in der Innsbrucker Nobel-Unterkunft „Hotel Europa“. Dort war er selbst erst wenige Tage vorher zu Gast und traf die schwerreiche Tiroler Adler-Runde, einen Zusammenschluss der mächtigsten Tiroler Kapitalisten, die in Wahlkämpfen der ÖVP gerne finanziell aushelfen, um danach mit der konzernfreundlichen Politik der Bundesregierung(en) bedankt zu werden.

Nach der zwischenzeitlichen Redseligkeit des Kanzlers wurde Ende Februar wieder der Mantel des Schweigens über die „Tiroler Verhältnisse“ gelegt – man wollte sich den Ausgang der Wirtschaftskammer-Wahlen nicht vermiesen lassen. Immerhin spielen diese unzählige Millionen in das Budget des türkisen Wirtschaftsbundes und damit indirekt in die Wahlkampf-Kasse der ÖVP. Einen Tag vor dem Ende der Wirtschaftskammer-Wahlen erklärte Kurz via Facebook in Richtung Unternehmerschaft lapidar: „Wir sind in Österreich auf alle Szenarien zum Coronavirus gut vorbereitet. Es gibt auch für unseren Standort keinen Grund zur Sorge!"

Am 5. März war die Wirtschaftskammer-Wahl geschlagen, bis dahin konnte sich der Corona-Virus in Tirol weitgehend ungehindert unter tausenden TouristInnen und Beschäftigen verbreiten. Erst am 9. März verkündete die türkis-grüne Tiroler Landesregierung die Schließung der mittlerweile berüchtigten Aprés-Ski-Bar „Kitzloch“! Der Rest der Geschichte – von der panikartigen Flucht der TouristInnen in andere Bundesländer und alle Länder Europas bis zum österreichweiten „Shutdown“ wenige Tage später – ist bekannt.


Shutdown!

Man stelle sich vor, das gesellschaftliche Leben wäre Mitte März in ganz Österreich wie gehabt vorangegangen. Aus den hunderten von Ischgl zurückreisenden Corona-Fällen wären in Diskotheken, bei Konzerten, bei Familienfeiern, in Schulen, in Krankenhäusern, in Pflegeheimen binnen kürzester Zeit zehntausende Fälle geworden. Zur völligen Überlastung des Spitalswesen wäre auch die völlige Überlastung der Gesundheitsbehörden gekommen: An eine Rückverfolgung der Infektionsketten und damit eine Eindämmung der Übertragung wäre nicht mehr zu denken gewesen. Trotz „Lockdown“ hatten die Gesundheitsämter im März mit Erkrankungsfällen zu tun, wo teils hunderte Kontaktpersonen angerufen werden mussten! Für das oben skizzierte Negativszenario spricht der Vergleich mit Staaten, die entweder weitestgehend unvorbereitet getroffen wurden (etwa Italien) oder die erst nach langem Zögern auf Einschränkungen des öffentlichen Lebens umgeschwenkt sind (Großbritannien oder die Vereinigten Staaten).


Was wusste die Bundesregierung von Tirol?

Der Schritt eines „Lockdowns“ war im Stadium der Verbreitung der Covid-19-Erkrankungen Mitte März in Österreich unausweichlich. Nichtsdestotrotz gilt es in der politischen Aufarbeitung der Corona-Krise die Frage zu stellen, welchen Anteil das Versagen von Tiroler Politik und Behörden an der späteren Unausweichlichkeit eines österreichweiten „Shutdowns“ hatte – und was die Bundesregierung von all dem wusste. Es könnte sich dabei herausstellen, dass Österreich nicht zu den „mutigen Vorreitern“ in Europa bei der Pandemie-Bekämpfung gehört, wie das von der Regierung und insbesondere dem Kanzler so gerne dargestellt wird, sondern dass die Versäumnisse bei der lokalen Eindämmung der Epidemie die bundesweiten strengen Regelungen erst notwendig gemacht haben.


Weitere Fragezeichen

Dazu kommen viele weitere Fragen: Warum wurden die gesetzten Maßnahmen in so geringem Ausmaß mit überprüfbaren Zahlen und medizinischen Grundlagen unterfüttert und stattdessen seitens der Regierung auf Paternalismus, zeitweise vermengt mit einem autoritären Kommando-Ton, gesetzt? Warum sprach Bundeskanzler Kurz zu einem Zeitpunkt, als sich das Abflachen der Kurve und damit die Verhinderung einer Covid19-bedingten Überlastung des Spitalswesens bereits deutlich abzeichnete, am 30. März davon, dass bald jeder von uns jemanden kennen wird, der an Corona gestorben ist? Und schließlich auch: Warum hielt man nach einem deutlichen Rückgang der Neuerkrankungen Mitte April am skizzierten Fahrplan bis weit in den Mai hinein strikt fest, ohne sichtliche Bemühungen, die drastischen Folgeerscheinungen des „Lockdowns“ jedenfalls abzumildern – von verschobenen Operationsterminen und der Vertiefung psychischer Erkrankungen über Rekordarbeitslosigkeit bis hin zu Umsatzeinbußen und einer Pleitewelle gerade kleiner Gewerbetreibender.
 

Die Krise des Kapitalismus

Trotz erster Lockerungen hat Corona auch viele Wochen danach Österreich und die Welt weiter im Griff. Die Gesundheitskrise wird überlagert von einer Krise des kapitalistischen Wirtschaftssystems, die in ihrer Tiefe mit der Wirtschaftskrise der Jahre 1929 ff. verglichen werden muss.

Schon jetzt haben hunderttausende Menschen in dieser Krise ihren Arbeitsplatz verloren, weitere Hunderttausende befinden sich in Kurzarbeit oder haben drastische finanzielle Einbußen als Folge der Schließungen. Ob die von der Bundesregierung angekündigten Hilfspakete diese Härten auch nur annähernd abfedern werden, darf bezweifelt werden. Bereits jetzt sind die sozialen Folgen dramatisch und die Verzweiflung bei vielen Menschen nimmt zu – verstärkt durch die wochenlange weitgehende sozialer Isolation.


Kapitalistenherrschaft und Würgengel

Eine globale Gesundheitskrise löst Macht- und Herrschaftsverhältnisse nicht einfach auf, im Gegenteil: Es ist von einer weiteren Konzentration von Macht und Reichtum auszugehen, begleitet von drastischen Verarmungsprozessen hierzulande und im Besonderen im globalen Süden. Für die Eindämmung der Pandemie galt, was Friedrich Engels in seiner Schrift „Zur Wohnungsfrage“ festhielt: „Die Kapitalistenherrschaft kann nicht ungestraft sich das Vergnügen erlauben, epidemische Krankheiten unter der Arbeiterklasse zu erzeugen; die Folgen fallen auf sie selbst zurück, und der Würgeengel wütet unter den Kapitalisten ebenso rücksichtslos wie unter den Arbeitern.“ (MEW 18, 233)

Gänzlich anders verhält es sich hingegen mit den „Würgengeln“ der Existenznot, der Armut oder der chronischen Erkrankungen als Folge materiellen Elends oder gesundheitsschädlicher Arbeitsbedingungen. Davor kann und will die Kapitalherrschaft die arbeitenden Menschen gar nicht schützen, schließlich muss sie die Jagd nach den Profiten der Wenigen auf Kosten der Vielen intensivieren.

 

Neoliberale Täuschungsmanöver

Wir dürfen uns nicht täuschen lassen: Die ersten Wochen der Corona-Pandemie haben dazu geführt, dass auch konservative und neoliberale Politiker Kreide geschluckt und sich das Mäntelchen der sozialen Fürsorge rasch übergezogen haben. Die Beseitigung der Krisenfolgen beziehungsweise ihre Abwälzung auf die breite Masse befeuert und verschärft jedoch den Klassenkampf von oben. Es drohen drastische Angriffe auf die Arbeitsrechte, Ausweitung von Arbeits- und Öffnungszeiten, Lockerung von „Zumutbarkeitsbestimmungen“ bei Erwerbslosen, Privatisierungen und schließlich massive Kürzung bei sozialen Leistungen, Bildung oder auch im Gesundheitswesen. Letzteres lässt sich im Fall der Spitalsbetten schon beobachten: Nach einem ersten Aufatmen im März darüber, dass der neoliberalen Rosskur der EU-Kommission in Bezug auf die Streichung von beinahe 20.000 Spitalsbetten in Österreich nur halbherzig Folge geleistet wurde, nehmen die besonders Dreisten unter den neoliberalen Einpeitschern wenige Wochen später gerade die Corona-Krise als vermeintlichen Beleg für die angebliche „Überkapazität“ an Spitalsbetten. Dass die „alte Normalität“ im Gesundheitswesen schon in monatelangen Wartezeiten auf Operationen bestand, verschweigen sie dabei ebenso geflissentlich, wie die Tatsache, dass zu einem Spitalsbett nicht nur eine Matratze gehört, sondern insbesondere das behandelnde und betreuende medizinische Personal! Auf weitere Dreistigkeiten der Herrschenden in ihren Angriffen auf soziale Rechte oder gesundheitliche Versorgung werden wir nicht lange warten müssen.


Es kracht im Gebälk

In den ersten Wochen der Corona-Pandemie erlebten nationale Regierung fast weltweit Zustimmungswerte in fast ungekanntem Ausmaß, in besonderer Weise galt dies hierzulande für die Kanzlerpartei ÖVP. Die Stimmung bekommt erste Risse. Die straff organisierte Kurz-ÖVP hat in den vergangenen Jahren das Kunststück zu Stand gebracht, dass sie den Staatsapparat in ganz besonderem Ausmaß in den ausschließlichen Dienst des Großkapitals gestellt hat und sich zugleich mit gerissener Macht- und Medienpolitik des Zuspruchs breiter Bevölkerungsteile erfreuen konnte. Mit der gegenwärtigen Krise nehmen allerdings die gesellschaftlichen Widersprüche in einer solchen Schärfe zu, dass ein erstes Ächzen im Gebälk der türkisen Machtkonstruktion wahrnehmbar ist. Sekundär ist dabei für uns die Frage, ob die kapitalistischen Eliten bei der Durchsetzung ihrer Interessen auf für sie Bewährtes oder neue wie alte Akteure setzen.


Die Aufgaben von uns KommunistInnen

Uns muss es vor allem darum gehen, den Widerspruch zwischen Oben und Unten, zwischen Profiteuren und VerliererInnen sichtbar zu machen. Der Unmut über die sozialen Folgen der Krisen kann nämlich verschiedenste Formen annehmen. Wir wissen aus der Geschichte, dass diese nicht zwangsläufig fortschrittlich sein müssen. Darum müssen wir uns als Kommunistinnen und Kommunsten in den kommenden Wochen und Monaten als gesamte Partei und gemeinsam mit Gleichgesinnten besonders bemühen, eine laute Stimme für die Interessen der arbeitenden Menschen und der breiten Mehrheit der Bevölkerung zu sein. Unsere Aufgabe ist es, für noch mehr Menschen wahrnehmbar sein und etwa die Forderung nach einer besonderen Beteiligung der großen Vermögen an der Krisenlast in die Köpfe und Herzen bringen. Und wir müssen mit den Betroffenen Formen des Widerstands und der Gegenwehr entwickeln, damit die arbeitenden Menschen der großen Offensive des Kapitals nicht wehrlos gegenüberstehen und soziale Errungenschaften von Jahrzehnten binnen kürzester Zeit geschliffen werden.

Gerade die nächste Zukunft wird uns als steirische KPÖ wie die Gesamtheit der fortschrittlichen Kräfte vor eine Vielzahl theoretischer wie praktischer Herausforderungen stellen. Es gilt in Zeiten sozialer Nöte in der Praxis unter Beweis zu stellen, dass die Kommunistische Partei eine nützliche Kraft an der Seite der Bevölkerung ist. Das ist zugleich der erste wichtige Schritt auf dem Weg, für die Menschen eine fortschrittliche, also sozialistische Alternative aus dieser Krise des kapitalistischen Profitsystems greifbar zu machen.

Robert Krotzer ist Stadtrat für Gesundheit und Pflege in Graz

27. Mai 2020