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Belastungspaket – Return to Sender

Interview mit der KSV-Vorsitzenden Sahar Mohsenzada

Gespräch mit der neuen KSV-Vorsitzenden Sahar Mohsenzada über das Belastungspaket der Regierung, ins Haus stehende Einschnitte bei der Wohnbeihilfe sowie Erfolge und Perspektiven des Kampfes dagegen.

Die rot-schwarze Bundesregierung hat in Loipersdorf ein Belastungspaket beschlossen, das besonders auch Studierende trifft. Wie steht der KSV dazu?

Sahar Mohsenzada: Offenbar haben die Damen und Herren zu heiß gebadet – herausgekommen ist ein bürgerliches Trauerspiel. Als KommunistInnen unterstützen wir klarerweise die Proteste dagegen, wie wir das bei den vorangegangenen Uni-Protesten auch getan haben. Neu ist jetzt, dass wirklich jeder und jede persönlich betroffen ist. Das Geschwafel von wegen „Härtefälle werden abgemildert“ ist Augenauswischerei, weil faktisch jeder und jede ein Härtefall ist.

Was mich persönlich so wütend macht ist, dass die Damen und Herren aus der Regierung zusätzlich zu den Privilegien und Dienstautos, die sie jetzt genießen, noch etwas gemeinsam haben: Sie haben nämlich ausnahmslos alle in Zeiten studiert, in denen es keine Studiengebühren, keine Zugangsbeschränkungen und dergleichen gegeben hat. Mehr noch: Sie waren als Studierende von der Telefongrundgebühr befreit, konnten gratis öffentliche Verkehrsmittel benutzen, und die Unis waren viel, viel besser ausgestattet.

 

Siehst du das auch als Grund, dass vergleichsweise so viele Menschen auf den Straßen waren?

Sahar: Genau. Die katastrophale Budgetsituation der Unis plus das Belastungspaket haben zu einem breiten Bündnis geführt – Studierende, Lehrende und Allgemeinbedienstete, Eltern und SchülerInnen, Familienverbände und Gewerkschaften – gehen gemeinsam auf die Straße: Erst 3.500, dann 8.000, und zuletzt ist es gelungen, trotz strömenden Regens 800 Leute zu einer Demo vor’s Grazer Finanzamt zu bringen. Vor einigen Jahren war es nur ein Bruchteil, der gegen die Missstände protestiert hat, jetzt ist die Regierung mit einer breiten Bewegung konfrontiert.

 

Worauf führst du das Zustandekommen dieses breiten Bündnisses zurück?

Sahar: Die katastrophale Situation an ausnahmslos jedem Institut sehen Blinde. Nehmen wir – pars pro toto – das Beispiel Kunstgeschichte: Lange schon ist ein ordentlicher Lehrbetrieb an unserem Institut kaum mehr aufrecht zu erhalten. Alle am Institut – Lehrende und Studienvertretung – ziehen an einem Strang, damit die Möglichkeit, in Mindeststudienzeit fertig zu werden, gewährleistet werden kann. Nur durch großzügige Anrechnungsregelungen ist das bewältigbar, mindert aber logischerweise die Qualität des Studiums. Dass die Probleme am Verhandlungstisch mit einer sich blind und taub stellenden Regierung nicht mehr zu lösen sind, sehen nicht mehr Einzelne, sondern sogar die Rektorate aller österreichischen Unis. Das ist auch der Grund, dass die Anwesenheitspflicht in den Lehrveranstaltungen im Zeitraum der Demos von der Unileitung aufgehoben worden ist.

 

Die Regierung argumentiert, dass die Situation durch Zugangsbeschränkungen und Studieneingangsphasen verbessert würde. Was haltet ihr dem entgegen?

Sahar: Damit werden die Probleme nur verlagert. Zum einen züchtet man damit ein Heer von arbeitlosen MaturantInnen heran. Zum anderen würden viele mindestens ein Semester verlieren, was sich wiederum auf die Familienbeihilfe auswirkt. Viele Eltern können sich die akademische Bildung mehrer Kinder nicht mehr leisten. Schon jetzt haben 60 Prozent der Studierenden neben dem Studium Jobs. Es liegt auf der Hand, dass diejenigen, die arbeiten, weniger Zeit haben, um sich ihrem Studium zu widmen. Das ist der Ausgangspunkt eines Teufelskreises, der oft in einem kaum selbstverschuldeten Studienabbruch endet. Man arbeitet und versemmelt deshalb eine Prüfung, die man für den Leistungsnachweis gebraucht hätte oder braucht überhaupt länger als es die Toleranzsemesterregelung erlaubt und verliert so die Familienbeihilfe und damit gleich die Mitversicherung bei Eltern, Ermäßigungen beim öffentlichen Verkehr, bei der GIS u.v.a.m. Man ist schließlich gezwungen, noch mehr zu arbeiten und legt schließlich das Studium auf Eis oder schmeißt es überhaupt hin.

 

Offenbar nimmt jetzt die rot-schwarze Landesregierung die Wohnbeihilfe ins Visier.

Sahar: Das wird die nächste Katastrophe. Bislang sind von den sogenannten „Sparpaketen“ immer nur Studierende, sozial Schwächere, Frauen, Arbeitslose betroffen. Auf der anderen Seite kommen Konzerne, Stiftungen, Kapital- und VermögensbesitzerInnen ungeschoren davon. Diese Politik bedeutet in letzter Konsequenz die Abschaffung der Mittelschicht und die Proletarisierung breitester Bevölkerungsschichten.

 

Einige „Abmilderungen“ des Belastungspakets sind schon erreicht worden. Was sind die weiteren Perspektiven?

Sahar: Solange die Proteste nur auf die Uni beschränkt bleiben, werden bestenfalls kosmetische oder nur kleine Änderungen am Belastungspaket zu erstreiten sein. Warum ist das so? Selbst wenn alle Unis in Österreich für, sagen wir einmal, zwei Wochen streiken würden, hätte das kaum Auswirkungen, weil es – im ökonomischen Sinne – kaum jemanden trifft. Streiken beispielsweise MetallarbeiterInnen oder EisenbahnerInnen, hat das in Windeseile massive Auswirkungen auf die gesamte Wirtschaft Österreichs, der Druck wäre viel größer und die Regierung viel schneller zum Einlenken gezwungen.

Wir müssen über den Tellerrand schauen. Nur Schulter an Schulter mit allen von der herrschenden Politik Betroffenen wären wir in der Lage, den Spieß umzudrehen. Dazu braucht es aber jeden und jede Einzelne!

 

Sahar Mohsenzada, 26, geboren in Afghanistan und aufgewachsen in Klagenfurt, studiert Kunstgeschichte. Sie ist Studienvertreterin an ihrem Institut und seit Oktober Vorsitzende des KSV Graz.

26. November 2010