Aus Anlaß der Wahlen in Frankreich

7 Punkte für eine bessere Arbeit

Frankreich hat Sarkozy. Die KP spielt keine Rolle mehr.

Franz Stephan Parteder

Mittwoch, 02. Mai 2007

Zur Lage – oder: Wie wir unterscheidbar bleiben



I

Ich hätte mir bis zum 22. April 2007 nicht vorstellen können, dass die einstmals große KP Frankreichs (PCF) und die jahrzehntelang marginalisierte steirische KPÖ bei einer schwierigen gesamtnationalen Wahl ein fast identisches Ergebnis erzielen würden. Jetzt ist es so gekommen: Die KP-Kandidatin Marie George Buffet erreichte bei der französischen Präsidentschaftswahl 1,9 % der gültigen Stimmen, genau so viel wie die KPÖ in der Steiermark bei der Nationalratswahl am 1. Oktober 2006.

Es gibt aber einen großen Unterschied: Wir erzielten vor einem halben Jahr das beste Ergebnis bei Nationalratswahlen seit 1962, die PCF hat noch niemals so schlecht abgeschnitten wie an diesem Wahlsonntag. Wir sind eine der (nicht allzu vielen) fortschrittlichen und Arbeiterparteien in Europa, die bei Wahlen derzeit zulegen können. Dabei ist die gesellschaftliche Großwetterlage in praktisch allen europäischen Ländern gleich. Die Mehrheit der Bevölkerung ist mit einer Offensive des Sozial- und Demokratieabbaus konfrontiert, wobei die (in sich differenzierte) Arbeiterklasse die größten Lasten zu tragen hat. Auch die EU-Aufrüstung wird weitergetrieben.

Die Versuche – ausgehend von der Antiglobalisierungsbewegung – als Gegengewicht ein neues politisches Subjekt zu schaffen, das an die Stelle der kommunistischen Parteien treten sollte, sind gescheitert. Wer diesen Versuch trotzdem weiterführen will, sieht sich mit immer größer werdenden Problemen konfrontiert.

Darüber hinaus zeigt sich, dass die Übertragung des parlamentarischen Links- Rechts-Schemas auf die gesellschaftliche Ebene Parteien unseres Typs zu politischen Gefangenen einer Sozialdemokratie macht, welche die oben beschriebene Offensive lediglich auf eine andere Weise umsetzt als die offen bürgerlichen Parteien.

Hier entsteht ein Vakuum, das von ultrarechten und fremdenfeindlichen Kräften genützt wird, wobei man feststellen kann, dass derartige Parteien und Bewegungen bisher nirgends langfristig in der Lage waren, das politische System zu kippen. Was ihnen gelungen ist, das ist eine Verschiebung der Diskussionsachse in Richtung autoritärer Lösungen, die aber ohnehin Teil der vor sich gehenden Offensive sind.

Es ist die Aufgabe der marxistischen Kräfte in der Arbeiterbewegung, ein auch wahlpolitisch wirksames Gegengewicht zu schaffen. Das gelingt nicht, wenn man sich anpasst, es gelingt aber auch nicht, wenn man sich auf das Propagieren der grundlegenden Vorstellungen unserer Weltanschauung und des Sozialismus zurückzieht.


II
Was ist das Gemeinsame an den jüngsten Wahlerfolgen von fortschrittlichen, mit der ArbeiterInnenbewegung verbundenen Parteien ?

1.: Sie unterscheiden sich durch ihr Auftreten und das Verhalten ihrer Spitzenleute von den etablierten Parteien.

Die Behauptung – „Ihr seid eh gleich wie alle anderen“ – kann man mit einem Verweis auf unsere marxistische Weltanschauung und unsere weitreichenden Ziele nicht entkräften. Bekanntlich ist die herkömmliche Politik mit einem Virus infiziert: Dabei geht es um die Überbewertung der Institution, in der man gerade ist, um das Streben nach Posten und Privilegien. Da kann es leicht passieren, dass man das Leben der Leute, die man vertreten soll, vergisst, und dass man die künstliche Welt der Sitzungen in verschiedenen Gremien mit der Wirklichkeit verwechselt.
Und das merken die Menschen. Das ist eine der Ursachen der sogenannten Politikverdrossenheit und des Aufstiegs rechtspopulistischer Bewegungen.
Ich halte es deshalb für besonders wichtig, dass unser Gehaltverzicht, die konkrete Hilfe für Menschen, denen es nicht so gut geht, und das Prinzip, dass unsere Büros für alle offen sind, eisern durchgehalten werden.
Das ist wichtiger als das ständige Verwenden von politisch korrekten Begriffen.

2.: Ihnen ist kein Problem der Leute zu klein.

Wir können in einer entpolitisierten Bevölkerung nur dann Vertrauen schaffen, wenn wir uns dieser Anliegen vordringlich annehmen und versuchen, kleine Bewegungen dafür zu  entfalten, bei denen die Menschen ihr Ohnmachtsgefühl ansatzweise verlieren.
In diesem Zusammenhang hat unsere Kampagne „Kein Geschäft mit der Spielsucht“ eine große Bedeutung, weil sie in einem nur angeblich unpolitischen Bereich die Klassenfrage stellt.
Wer in der jetzigen Situation zu hoch ansetzt, wird kein einziges seiner Ziele erreichen. Das bedeutet nicht, dass wir uns von Demonstrationen gegen Neonazis und Krieg etc. fernhalten sollen. Wir müssen nur den Stellenwert dieser Aktionen richtig bewerten.

3.: Was vor der Wahl gesagt wurde, gilt auch nach der Wahl.

Es ist sehr wichtig, dass wir uns in „kleinen“ Fragen, aber auch bei großen Themen nach der Wahl und im politischen Alltag nicht anders verhalten, als wir es vor den Wahlen versprochen haben. Alle wissen, dass mit uns Privatisierung von öffentlichem Eigentum, Sozialabbau und Privilegienpolitik nicht zu machen sind. Für diese Haltung bekommen wir vielleicht von der politischen Kaste einige Minuspunkte, wir beweisen aber auch dadurch, dass man sich auf uns verlassen kann. Regierungsbeteiligungen auf nationaler und regionaler Ebene sind nur dann sinnvoll, wenn sie unseren Zielen nicht widersprechen. Man darf sich von der Sozialdemokratie in dieser Frage und mit der Drohung einer „rechten Gefahr“ nicht erpressen lassen.

4.: Die Politik der Partei wird mit konkreten Personen verbunden.

Am deutlichsten kann man das in den Niederlanden feststellen, wo der SP-Vorsitzende Jan Marijnissen zu einer „Marke“ geworden ist, die für soziale Gerechtigkeit steht. Aber auch der Wiederaufstieg der Portugiesischen KP ist mit ihrem Generalsekretär de Sousa verbinden, welcher authentisch einen Arbeiterpolitiker verkörpert.
In der Steiermark haben wir Ernest Kaltenegger und Elke Kahr, die zeigen, wofür wir stehen.
Man darf nicht lange erklären müssen, was mit unserer Partei verbunden werden sollte. (Übrigens haben die Bolschewiki vor 90 Jahren beides – die Personalisierung (Lenin, Trotzki) und die Verknappung (Land, Brot, Frieden) meisterhaft beherrscht).

5.: Basisarbeit und professionelle Öffentlichkeitsarbeit sind kein Gegensatz.

Die angeführten Parteien legen großen Wert auf  die Arbeit an der Basis, in den Stadtteilen und Betrieben, wie auch das Auftreten an Infoständen. Gleichzeitig haben sie sich ein professionelles Auftreten angeeignet, das den Gesetzen der Medienwelt entspricht.
Das ist kein Gegensatz. Ohne die Arbeit an der Basis, ohne tägliche Kontakte mit der Bevölkerung geht nämlich auch die professionellste Werbung ins Leere.
Gleichzeitig muss auch jene Bewegung, welche die Bürgerwelt mit ihrer Bewusstseinsindustrie am entschiedensten ablehnt, bestimmte Regeln befolgen, die für das Auftreten in elektronischen Medien und auch für die Eigenwerbung heutzutage üblich sind.
Gefährlich wird es nur dann, wenn sich die medial präsenten Spitzenleute nicht mehr an Infoständen blicken lassen. Der „Engel der Armen“ muss als Person auch in der wirklichen Welt sichtbar sein und darf das Gespräch mit den Leuten nicht scheuen.

6.: Sie bereichern durch ihre Arbeit unsere Vorstellungen vom Marxismus.

Unsere theoretischen Vorstellungen über den Prozess der gesellschaftlichen Veränderung in Richtung Sozialismus stehen seit dem Ende des Realsozialismus in Osteuropa auf dem Prüfstand. Ich sehe weltweit seither zwei Entwicklungen, welche uns neue Erkenntnisse liefern können: Das ist zum einen die Linkswendung  in Lateinamerika, an deren Spitze Venezuela steht. Die zweite Entwicklung sehe ich in Westeuropa und darin, dass es in einigen Ländern gelingt, ansatzweise starke Oppositionsparteien zu schaffen, die links von Sozialdemokraten und Grünen stehen und in der Lage sind, grundlegende Fragen vom Standpunkt der Arbeiterschaft aus zu beantworten.
In Europa sind wir auf absehbare Zeit noch in der Defensive. Aber auch diese Erfahrungen sind von Bedeutung. Wenn es gelingt, diese Bewegungen und Parteien zusammenzuführen, haben wir schon einiges erreicht.
Dabei fällt auf, dass – wie in Lateinamerika - das Etikett „Kommunistische Partei“ allein noch nichts über den  sozialen Gehalt einer Bewegung aussagt. Es gibt mehrere Länder, in denen nicht die KP, sondern eine andere Kraft an der Spitze steht. Man ist noch keine Avantgarde, wenn man sich selbst als Avantgarde bezeichnet.

7.: Ohne gesellschaftliche Praxis gibt es keine revolutionäre Theorie

Der traditionelle Marxismus-Leninismus war – wie wir wissen leider  - ein in sich geschlossenes Theoriegebäude, das eine immer dünnere Verbindung mit der Realität hatte.
Der Zusammenhang zwischen gesellschaftlicher Praxis und marxistischer Theorie muss daher auf eine andere Weise hergestellt werden, als dies in der vergangenen Periode unserer Bewegung  und zwar in ungenügender Weise geschehen ist. Darüber sollten wir auch anhand der geschilderten Erfahrungen nachdenken. Es darf auf keinen Fall so sein, dass man versucht, die Leute dadurch an den Marxismus heranzuführen, dass er auf eine abstrakte Weise gelehrt wird. Programmentwürfe, Texte, Elaborate von Theoretikern aus dem deutschen Sprachraum stammen bildlich gesprochen von gescheiterten Generalstabsoffizieren ohne Heer. Diese Thesen enthalten oft interessante Gedanken. Wir brauchen aber vor allem eine Verallgemeinerung der geschilderten Erfahrungen.

Wir sollten auch nicht übersehen, dass die steirische KPÖ in den vergangenen Jahren inhaltliche Kompetenz in vielen Bereichen gewonnen hat. Das reicht von der genaueren Einsicht in die Funktionsweise des Staatsapparates und der Institutionen der bürgerlichen Demokratie bis zur Zusammenarbeit mit sachkundigen Experten auf verschiedenen Gebieten. Wir sind sachkundiger geworden, wobei sich die Grundannahmen beispielsweise der Staatstheorie des Marxismus bestätigt haben, gleichzeitig sind wir aber nüchterner geworden, was unsere konkreten Möglichkeiten angeht.
Ohne gesellschaftliche Praxis gibt es keine revolutionäre Theorie. Unsere Bildungsarbeit sollte das berücksichtigen.



III
Eines dürfen wir nicht vergessen: Es gibt keine Garantie für Wahlerfolge. Es kann sein, dass wir das in Graz schon bald merken werden. Wir müssen aber alles tun, um jene Fehler zu vermeiden, die Wahlniederlagen unvermeidlich machen. Das Studium der Erfahrungen anderer Parteien und Bewegungen, auch ihrer Niederlagen, kann uns dabei helfen, den ärgsten Fallen zu auszuweichen. Wir wollen keine Besserwisser sein, weder in unseren eigenen Reihen, noch gegenüber gleich oder ähnlich Gesinnten in anderen Ländern. Wir sollten in aller Bescheidenheit versuchen, Tag für Tag besser zu verstehen, wie der politische Prozess bei uns funktioniert und wie wir im Interesse der arbeitenden Menschen in diesen Prozess eingreifen können.



10. Juni 2007