August Pirker

Widerstand in Österreich und Griechenland

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August Pirker, 1910 - 1996

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In einem Vermerk des Geheimen Staatspolizeiamtes in Berlin über den Abschlussbericht der Gestapo Graz vom 23. März 1939 heißt es: „Die Arbeit weniger Funktionäre war nach den bisherigen Feststellungen von einem außerordentlichen Erfolg begleitet. Dieser Umstand ist darauf zurückzuweisen, dass an der Spitze der Organisation ein Mann stand, der in früheren Jahren die Schulung der Leninschule in Moskau genossen hatte und der demzufolge mit allen Regeln der konspirativen Methodik bestens vertraut war. […] Die Ermittlungen der hiesigen Staatspolizeistelle ließen mit erschreckender Deutlichkeit erkennen, in welcher kurzen Zeit sich der Aufbau einer schlagkräftigen und aktionsbereiten illegalen Organisation ermöglichen lässt, wenn eine politische Krise eintritt [gemeint ist hier die von Deutschland aus provozierte so genannte Sudetenkrise zur Zerschlagung der Tschechoslowakei; Anm.], deren Ausgang dem Reiche Nachteile zuzufügen droht.“1 Der Mann, über den die Gestapo hier schrieb, war August Pirker.


Von der Sozialdemokratie zur KPÖ und in die Sowjetunion

 

August Pirker wurde am 3. Juli 1910 im weststeirischen Industrieort Tregist, heute ein Teil von Voitsberg, als fünftes Kind einer armen Bergarbeiterfamilie geboren. In einem Lebenslauf gab er an, dass seine Mutter bereits 1912 gestorben ist und sie in den letzten Jahren des Ersten Weltkriegs zu den Bauern betteln gehen mussten, um nicht zu verhungern. Und weiter gab er an: „Alle Geschwister mussten nach Erreichung des 14. Lebensjahres von zu Hause fort und in den Dienst oder in die Arbeit. Ich erhielt Arbeit in der Voitsberger Glasfabrik nach Schulschluss.“2 1925 begann er schließlich eine Schmiedelehre und schloss sich der Sozialistischen Arbeiterjugend an. 1929 ging er nach Graz, wo er bei Waagner-Biró eine Arbeit als Schmied fand. Im Zuge der Wirtschaftskrise wurde Pirker wenig später im August 1930 arbeitslos, was zur Folge hatte, dass er sich dem Arbeitslosenkomitee anschloss. Besonders aktiv innerhalb des Komitees waren die beiden kommunistischen Parteien, die  KPÖ  und  die KPÖ(O),3 wobei sich Pirker im Februar 1931 der KPÖ anschloss, bei der er sehr rasch in verschiedenen Funktionen tätig wurde. So nennt ihn ein Bericht der Polizeidirektion Graz am 7. Juli 1931 bereits als Mitglied der „politischen Leitung“ der KPÖ Graz, die wie es im Bericht heißt – im vorangegangenen Monat Juni nicht weniger als 15 Versammlungen mit bis zu 600 Teilnehmern abgehalten habe. Und weiter: „Durch diese vermehrte Versammlungstätigkeit und begünstigt durch die wirtschaftlichen Verhältnisse hat die kommunistische Partei in Graz und Umgebung einen Mitgliederzuwachs erhalten“, den die Polizeidirektion auf rund 800 einschätzte.4
Da August Pirker in den folgenden Monaten für zahlreiche Flugschriften mit Demonstrationsaufrufen als Redakteur verantwortlich zeichnete, wurde er mehrfach wegen „Übertretung des Pressgesetzes“ verurteilt.5 Im Herbst 1932 kehrte er aus familiären Gründen wieder nach Voitsberg zurück. Im weststeirischen Industriegebiet hatte die KPÖ bei den Gemeinderatswahlen im April 1932 nicht wirklich gut abgeschnitten und lediglich in Bärnbach mit rund zehn Prozent der Stimmen ein Mandat erringen können.6 In Voitsberg wurde Pirker unmittelbar nach seiner Rückkehr Bezirksleiter der KPÖ und begann den Aufbau der Bezirksorganisation, die am 1. Mai 1933 Stärke zeigte und trotz Verbot der Regierung Dollfuß eine 1. Mai-Demonstration organisierte. Die Rote Fahne berichtete, dass sich am Hauptplatz in Voitsberg 2.000 Personen versammelten, was zur Folge hatte, dass Landeshauptmann Anton Rintelen Militär nach Voitsberg entsandte, um die dortige Gendarmerie zu unterstützen. Dabei wurden fünf Personen, darunter auch August Pirker, festgenommen.7 Insgesamt waren im Zusammenhang mit Kundgebungen am 1. Mai 1933 an „die 700 aufrechte revolutionäre Kämpfer, vom Chefredakteur der Roten Fahne, Genossen Schüller angefangen, bis zu unseren tapferen Vorkämpfern in den kleinsten Provinzorten und  Dörfern“,  festgenommen  worden,
„gilt es doch für die Bourgeoisie durch ihre Regierung der immer drohenderen kommunistischen Welle einen Damm von  Kerkern  und  Gefängnissen entgegenzusetzen.“ Daher werden – so auf der Titelseite der Roten Fahne – „alle Paragraphen des Gesetzbuches, derer man habhaft werden kann, […] zusammengetragen, um der Kommunistischen Partei, ihren Funktionären und Mitgliedern, die man eingesteckt hat, den Prozess zu machen.“8 Die meisten am 1. Mai Festgenommenen – so auch August Pirker – wurden nach 14 Tagen wieder freigelassen,9 doch folgte nur wenig später das Verbot der KPÖ.
Im November 1933 ging August Pirker auf Vorschlag von Johann („Robert“) Täubl, dem Organisationsleiter des ZK der KPÖ, in die Sowjetunion, wo er im Tscheljabinsker Traktorenwerk Arbeit fand. Im September 1935 wurde Pirker an die Internationale Leninschule in Moskau delegiert, wo er den „Kurzen Kurs“ bis August 1936 als „Gustav Ellinger“ belegte.10 Sein Besuch  der  Kaderschule in  Moskau  fiel  in  die  Zeit  nach  dem VII. Weltkongress der Kommunistischen Internationale im Sommer 1935, sodass im Unterricht u.a. die Anwendung der Einheitsfrontund Volksfronttaktik bzw. die Taktik des „Trojanischen Pferdes“, die Unterwanderung faschistischer Organisationen, auf dem Lehrplan standen.11 Ende Dezember 1936 kehrte Pirker wieder zur Parteiarbeit nach Graz zurück, wo er innerhalb der Sozialen Arbeitsgemeinschaft (SAG) der Vaterländischen Front im Sinne der Volksfrontpolitik aktiv wurde. Anfang des Jahres 1938 wurde er schließlich auf einer Konferenz in der Nähe von Graz zum Bezirksobmann der KPÖ gewählt.12 Über diese Phase im Februar 1938 berichtete Pirker 50 Jahre später: „Als die SAG gegründet wurde, sind wir in sie eingetreten und haben unter dem Deckmantel arbeiten können. Im Jahr 1938 haben sich dann aber die Ereignisse fast von Tag zu Tag überstürzt. Schuschnigg hatte den Arbeitern einiges versprochen und wir haben die Hoffnung gehabt, über kurz oder lang wieder legal arbeiten zu können und vollständige Presseund Koalitionsfreiheit zu bekommen. Aber die Nazis sind damals schon sehr offen aufgetreten, haben die Hakenkreuzfahne am Rathaus gehisst und offen zur Schau gestellt: Wir sind schon da! Nun hat auch die Vaterländische Front etwas  machen müssen.

Sie hat unter Alfons Gorbach eine Protestversammlung auf den Grazer Hauptplatz einberufen, und wir haben in der SAG die Arbeiter aus den Betrieben mobilisiert. Als die Kundgebung stattfand, war die Straße vom Hauptplatz bis zum Jakominiplatz voll und alle haben gerufen: Niemals Hitler! Für ein freies Österreich! Es folgten in den nächsten Tagen allerorts kleinere Versammlungen und wir konnten in den letzten Februartagen offen eine erste Parteimitgliederversammlung durchführen. Die Revolutionären Sozialisten haben im Kleinen Kammersaal eine Versammlung einberufen, bei der auch ich gesprochen habe. Am 11. März gab es schließlich am Lendplatz, im Konsumgasthaus, eine letzte Versammlung. Auf einmal kam einer und sagte: Schuschnigg ist zurückgetreten. Zehn Minuten später sind alle gegangen; mit gesenktem Haupt.“13


Widerstand gegen den Nationalsozialismus

 


Schon bald nach dem „Anschluss“ wurden August Pirker und Ernst Mlakar von der zentralen Leitung der KPÖ in Wien beauftragt, die KPÖ und den KJV in Graz und Umgebung, wozu damals auch die gesamte Ost-, Südund Teile der Weststeiermark gehörten, wiederaufzubauen. Um den Kontakt mit der Leitung der KPÖ zu halten, wurde im jugoslawischen Maribor (Marburg) eine Kontaktstelle  eingerichtet.14  Pirker begann noch im Juni 1938 mit der Umstrukturierung der Partei und dem Neuaufbau von Betriebszellen. Innerhalb kürzester Zeit gelang es ihm – wie auch der eingangs zitierte Bericht der Gestapo hervorhob – in verschiedenen Betrieben in Graz und der Weststeiermark ein Netz von Zellen aufzubauen, so u.a. im wichtigsten Rüstungsbetrieb von Graz, dem Steyr-Daimler-Puch-Werk.
Spätestens Ende September 1938 war es aber der Gestapo gelungen, in das Widerstandsnetz der KPÖ und des KJV einzudringen.15 Dies lässt sich recht anschaulich an Hand der Berichte der Gestapostelle Graz nachzeichnen. So heißt es in einem Bericht Anfang Oktober 1938: „Mit dem Anwachsen der Spannungen kamen jene Elemente zum Vorschein,   die   aus   der Gesamtlage  für  ihre Ziele einen Nutzen ziehen zu können glaubten. […] Die aktivistischen Elemente gingen dazu über, an Stelle einer mehr oder minder versteckten Mundpropaganda offene Drohungen auszustoßen in der Hoffnung und mit dem Ziel, Unruhe und Verwirrung in die in ihrer nationalsozialistischen Erkenntnis bzw. Überzeugung noch ungefestigten weiten Bevölkerungskreise zu tragen. Dieses Unterfangen konnte bei der heutigen Verfassung in Österreich leider in einem erheblichen Maße gelingen.“ Lähmende Zweifel schlichen sich – wie es im Bericht weiter heißt – „bis in die – allerdings noch ungeschulten – Parteikreise, die angesichts der außenpolitischen Spannung und Belastung vielfach die Nerven verloren.“16
Um „staatspolizeiliche Maßnahmen gegen die zunehmende kommunistische und marxistische Tätigkeit in Österreich zu ergreifen“, ordnete daher der Chef der Sicherheitspolizei am 26. September 1938 an, „alle führenden Funktionäre der KPÖ und SPÖ, sofern erwiesen oder den Umständen nach anzunehmen ist, dass sie sich nach wie vor im staatsfeindlichen Sinne betätigen, bis auf weiteres in Schutzhaft zu nehmen.“17 Im Zuge dieser Aktion wurden im Bereich der Staatspolizeistelle Graz über 40 Personen festgenommen. Obwohl die Gestapo hier nur auf Verdacht hin Personen verhaftet hatte, war ihr mit dieser Aktion ein großer Schlag gegen die KPÖ geglückt, wie der Gestapobericht vom 31. Oktober festhält: „In meinem Bericht vom 1.10.1938 habe ich angeführt, dass Ende September in Graz auch Personen festgenommen wurden, welche in dem dringenden Verdachte standen eine illegale komm. Organisation aufzubauen bzw. aufgebaut zu haben. Einer der Verhafteten legte ein volles Geständnis ab und konnte als V-Mann gewonnen werden. Er wurde mit den anderen Verhafteten, denen aus taktischen Gründen keine Vorhaltungen gemacht wurden – ihre Verhaftung wurde anderwärtig begründet – sofort wieder auf freien Fuß gesetzt und hält seither die Staatspolizeistelle Graz über die Arbeitsweise und Tätigkeit der Komm. Partei in Steiermark in einwandfreier Weise auf dem Laufenden.“18 Dieser V-Mann war Fritz Kreuzmann, der neben Johann Janeschitz und August Pirker zur Leitung der KPÖ gehörte und der der Kontaktmann zu Mlakar und damit zum KJV war. Welchen Schaden der V-Mann Kreuzmann für einen größer angelegten Widerstand in der Steiermark angerichtet hat, zeigt sich unter anderemv auch  darin,  dass  er   der   Gestapo den  „Plattformentwurf“ für die Gründung einer Einheitspartei aus Revolutionären Sozialisten (RS) und Kommunisten in der Steiermark, den August Pirker Anfang Oktober 1939 aus Maribor übermittelt bekommen hatte, zukommen ließ.19 Zudem gab er die Anlaufstellen der KPÖ in Maribor bekannt. Der Gestapo waren somit seit Anfang Oktober – wie sie in einem Bericht festhielt – „sämtliche Führer (der KPÖ und des KJV) des Kreises Graz bekannt. Aus taktischen Gründen wird von einem Zugriff solange abgesehen, bis nicht die letzten Verbindungen und Fäden sowohl im Gau Steiermark, als auch nach den angrenzenden Gauen bzw. nach dem Auslande aufgedeckt und uns bekannt sind.“20
Am 1. Dezember 1938 war es schließlich so weit. Zunächst wurden die Mitglieder des KJV in Weiz festgenommen. Im Bericht der Gestapo vom 24. Dezember 1938 heißt es dazu: „Der Zugriff erfolgte deshalb in Weiz – eine Stadt 50 km von Graz entfernt –, um bei der illegalen Führerschaft der komm. Organisation in Graz nicht den Eindruck eines Verrates zu erwecken. Auf Grund der ersten Einnahmen (recte: Einvernahmen) erfolgten dann die weiteren Zugriffe usw.“21 Nachdem die Verhaftungsaktion gegen den KJV abgeschlossen war, kam es von Jänner bis März 1939 zur Zerschlagung der gerade erst aufgebauten Zellen der KPÖ und zu weiteren Verhaftungen in  Graz, Weiz und  Voitsberg.22

Keiner der damals Verhafteten wurde zum Tode verurteilt. August Pirker wurde am 6. November 1939 vom Oberreichsanwalt beim Volksgerichtshof wegen Vorbereitung zum Hochverrat angeklagt und am 18. März 1940 zu 12 Jahren Zuchthaus verurteilt. Im Urteil heißt es: „Pirker hat, indem er schon wenige Monate nach dem 13. März 1938 daran ging, den Hochverrat gegen das Deutsche Reich aufs neue vorzubereiten, einen außergewöhnlich gefährlichen Willen erkennen lassen. Obwohl er es nur der Rückgliederung der Ostmark zu verdanken hatte, dass er nach langer Erwerbslosigkeit wieder Arbeit bekam, hat er als gelehriger Schüler seiner Moskauer Lehrer in weit höherem Maß als je zuvor alles daran gesetzt, den Umsturz im Reich vorzubereiten.“23
Seiner Frau Stefanie schrieb Pirker nach der Urteilsverkündung: „Gestern Abend um 6 Uhr sind die Würfel meines Schicksals gefallen. Die Richter im roten Talar und weißen Maschen […] sprachen nach einer Beratung von ca. 1 Stunde das Urteil. […] Bei der Begründung des Urteils führte der Senatspräsident aus, dass dieses Urteil speziell jetzt in der Kriegszeit all jene in Österreich abschrecken möge, die von dieser kommunistischen Irrlehre nicht lassen zu können glauben.“24
Stefanie Pirker und die im April 1938 geborene Tochter Hermi wurden in der Folge bis Mai 1943 von der Roten Hilfe finanziell unterstützt, ehe sie und ihre Unterstützer, u.a. das Ehepaar Kopp, festgenommen wurden. Während Alois Kopp als Funktionär der Roten Hilfe  am 24. Jänner 1944 vom Volksgerichtshof wegen Vorbereitung zum Hochverrat zum Tode verurteilt wurde, erhielt Stefanie  Pirker  eine  dreijährige Zuchthausstrafe wegen Unterlassung der Anzeige der „hochverräterischen Umtriebe“ von Kopp und Genossen.25
Vom Strafbataillon 999 zu den griechischen Partisanen der ELAS
Obwohl August Pirker durch seine Verurteilung nach  dem  Wehrgesetz als „wehrunwürdig“ galt, wurde ihm und anderen politischen Häftlingen im Zuchthaus Stein an der Donau Ende des Jahres 1942 die Möglichkeit gegeben, sich freiwillig zur Wehrmacht zu melden. Der Hintergrund dafür war, dass die Wehrmacht durch die großen Ausfälle an der Ostfront Soldaten brauchte. Daher wurden  mit  dem  Erlass  des  OKW  vom 11. April 1942 mit Zuchthaus bestrafte Wehrunwürdige dazu aufgefordert, einen „Ehrendienst am deutschen Volk“ zu leisten.26 August Pirker und die anderen politischen Häftlinge im Zuchthaus Stein lehnten das „Angebot“ für Hitler in den Krieg zu ziehen Ende des Jahre 1942 ab, was letztlich aber nichts half. Denn im Frühjahr 1943 erschien eine Stellungskommission im Zuchthaus und erklärte alle als „wehrtauglich“. So wurde Pirker gemeinsam mit dem zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilten Provinzverantwortlichen der KPÖ, Wilhelm Wehofer, und anderen am 8. Juli 1943 nach Heuberg bei Stetten am kalten Markt (BadenWürttemberg) zur Bewährungseinheit 999 einberufen, wo sie eine fünfmonatige Ausbildung erhielten.
Diese Bewährungseinheit innerhalb der Wehrmacht, die ursprünglich „Afrika-Brigade 999“ hieß, wurde deshalb geschaffen, damit die verurteilten NSGegner nicht innerhalb der Wehrmacht ihre antifaschistische Tätigkeit fortsetzen konnten, wie aus einer „Geheimen Kommandosache“ des OKW vom 14. April 1943 hervorgeht: „Der Erlass vom 13.1.1943 hat den für die Einberufung von Wehrunwürdigen in Frage kommenden Personenkreis so erweitert, dass künftig mit der Einberufung auch einer größeren Zahl von früher staatsfeindlich eingestellten Personen, insbesondere von ehemaligen aktiven Kommunisten gerechnet werden muss. Die Gefahren, die sich aus einer möglichen Anhäufung solcher Elemente ergeben, werden solange nicht gross sein, als diese in geschlossenen Einheiten bleiben, wo sie entsprechend überwacht und ausgeschieden werden können.“27

Nach der Ausbildung in Heuberg wurde Pirker am 1. Dezember 1943 mit der 1. Kompanie des XVI. /Festungsund Infanterie-Bataillons 999 nach Griechenland in Marsch gesetzt.28 Bald nach der Landung auf der nordägäischen Insel Limnos nahmen August Pirker und andere Antifaschisten – unter ihnen etwa auch der Politologe Wolfgang Abendroth (1906–1985), der nachmalige Sekretär der SED in Dresden Karl Müller (1903–1972) oder Wilhelm  Wehofer
Kontakt zur griechischen Widerstandsbewegung auf, um im Fall eines britischen Angriffs auf die Insel eine möglichst kampflose Übergabe zu erreichen. Der Hamburger Kommunist Ernst Hansch      (1914–1970)29     berichtete:
„August Pirker unterhielt im Auftrage unserer gemeinsamen Widerstandsorganisation Kontakte zu leitenden Persönlichkeiten der griechischen Volksbefreiungsbewegung und der Kommunistischen Partei Griechenlands auf der Insel Limnos. August Pirker transportierte Waffen und Munition, die unsere Organisation für die griechischen Kampfgenossen beschaffte. Kamerad Willi Wehofer war abkommandiert in das Elektrizitätswerk von Kastron auf Limnos. Er versorgte viele antifaschistische Gruppen unseres Bataillons und wahrscheinlich auch andere Bataillone der 999er mit Rundfunk-Nachrichten aus den Sendern der Alliierten Streitkräfte.“30 Den Kontakt zur Nationalen Befreiungsfront EAM und der KKE, der Kommunistischen Partei Griechenlands stellte Pirker über den Volksschullehrer von Sardes, Giorgios Wasdekis, her, bei dem er Griechisch lernte. Als im Sommer 1944 die Mitteilung kam, die 999er werden von der Insel abgezogen, trafen sich der Vertreter der EAM von Sardes Giorgios Wasdekis, August Pirker und Ernst Hansch, um das Überlaufen der Antifaschisten zur ELAS, der Griechischen Volksbefreiungsarmee, zu besprechen. Seitens der EAM hielt man es für vernünftiger, dass Pirker und die anderen nicht auf der Insel bleiben, sondern auf Festland gehen und dort bei nächster Gelegenheit zur ELAS überlaufen sollten. Wasdekis meinte, „damit Ihr bei der ELAS gut aufgenommen werdet, bringe ich Euch Legitimationen, die den Inhaber legitimieren und der dann auch seine Genossen legitimieren“ kann.31 Mit diesen Bescheinigungen der EAM und der Kommunistischen Partei von Limnos in der Tasche gingen Pirker und Genossen am 9. September 1944 auf ein Schiff, das sie nach Saloniki brauchte, von wo sie nach Sochos, rund 50 km nordöstlich von Saloniki abkommandiert wurden. Als am 14. September Pirker gemeinsam mit  rund  100  Soldaten zu  einem Strafeinsatz gegen Partisanen der ELAS in die 20 km entfernte Stadt Nigrita aufbrachen, um dort das E-Werk, die Mühle und sämtliche Brücken zu zerstörten, kam es beim Rückzug aus der Stadt zu einem Gefecht mit Partisanen. Das war die Gelegenheit, auf die August Pirker gewartet hatte. Im Schutze einer Böschung entlang der Straße liegend beschloss er: „Jetzt bleibe ich liegen. Alle rannten vorbei an mir, sie rannten um ihr Leben zu den Autos. Als ich bemerkte, dass alles vorbei war, stand ich auf, kroch auf allen Vieren die Böschung hinauf.“32 Er gab sich den Partisanen gegenüber zu erkennen, die ihn zum Regimentskommandeur brachten, wo er sich mit dem Ausweis von Limnos legitimierte. In der Folge bildete er Partisanen am MG aus, das die Soldaten seiner Einheit zusammen mit anderen Materialien und Munition weggeworfen hatten und so in die Hände der Partisanen gelangt war. Zudem legte er gemeinsam mit den Partisanen selbstgefertigte Minen auf der Straße zwischen Lagkadas und Sochos.
Sehr bald schon wurde Pirker aber direkt dem Divisionsstab der 11. Brigade der ELAS zugeteilt, um sich von dort aus um die Wehrmachtsoldaten in den Dörfern zu kümmern. So schrieb er Briefe an sie, in denen er sie aufforderte, mit ihren Waffen zur ELAS überzulaufen. Gemeinsam mit dem Berliner Kommunisten Max Lorenz war Pirker bald für rund 35 österreichische und deutsche Überläufer zuständig, die er nun wieder innerhalb des Bataillons der ELAS zur Antifa-Einheit Freies Deutschland zusammenfasste.
Nach dem Rückzug der Wehrmacht im Oktober 1944 übernahm die ELAS in großen Teilen Griechenlands – so u.a. auch in Athen und Saloniki – die Macht. August Pirker marschierte, nachdem sich alle Bataillone der 11. Division rund um Saloniki gesammelt hatten, mit seiner Antifa-Einheit revolutionäre deutsche Lieder singend in die Stadt ein. „Endlich  war es soweit. Um 12 Uhr mittags begannen die Glocken zu läuten und wir rückten den Berg hinunter auf die Stadt zu, wo der Einmarsch der ELAS-Truppen zu einem grandiosen Volksfest wurde. […] Überall wurden wir bewirtet. Griechische Nationalfahnen in den Händen der ELAS und EAM konnten wieder öffentlich getragen werden. Pfaffen und Bürger, Bauern und Arbeiter, Soldaten und Frauen und Mädchen in der Menge auf der Straße, wie ich es nie zuvor gesehen habe. Singend und tanzend, freudestrahlend ging  es  durch die Stadt. Endlich wieder frei, die Deutschen abgezogen und Friede im Lande eingekehrt!“33 Doch der Friede währte nicht lange. Zunächst verfolgte August Pirker mit seinem Bataillon noch die sich Richtung jugoslawische Grenze zurückziehenden Deutschen, wobei es vereinzelt noch zu Gefechten kam. Als es Anfang Dezember 1944 zur Schlacht um Athen zwischen der ELAS und Truppen der aus dem Exil zurückgekehrten Regierung unter Beteiligung der Briten, die den Einfluss der ELAS zurückdrängen wollten, kam, fürchten August Pirker und seine Genossen, dass sie am Ende noch in britische Kriegsgefangenschaft geraten könnten. Sie beschlossen daher, nach Bulgarien, zur Roten Armee, zu gehen. Im Jänner 1945 gelangten sie zu einer Einheit der Roten Armee, wo ihnen ein General erklärte, dass sie als Partisanen nicht aufgenommen werden und sie nur ins Kriegsgefangenenlager gehen könnten. Als Pirker fragte, ob es für sie keine Ausnahme gebe, meinte dieser: „Lager ist Lager! Da gibt es keine Ausnahmen. Ihr könnt eine Schreibmaschine haben, Papier und Unterlagen. Damit könnt Ihr Eure antifaschistische Arbeit machen.“34 Diese antifaschistische Tätigkeit war aber nicht von langer Dauer, denn im März 1945 wurden sie mit einem Kriegsgefangenentransport von Sofia in die Sowjetunion überstellt, wo sie, wie andere Kriegsgefangene auch, Zwangsarbeit leisten mussten.

Nachgeschichte


Im Jänner 1947 kam August Pirker auf die Antifa-Schule nach Noginsk, 50 km östlich von Moskau, die er bis Juli 1947 besuchte. In einem Brief an seine Frau, die er zu diesem Zeitpunkt schon über acht Jahre nicht mehr gesehen hatte, schrieb er Ende Juni 1947 u.a.: „Es darf nie mehr so weit kommen, wie es uns erging, dass Familien auseinandergerissen und ins Zuchthaus gesteckt werden, nur weil  sie  für Gerechtigkeit streiten. Wie schrecklich wirkt sich diese Barbarei heute noch für Österreich und alle anderen Völker aus! Daher müssen wir eine Wiederholung solch einer Katastrophe verhindern. Am Aufbau einer neuen friedlichen Welt mitzuarbeiten ist heilige Pflicht aller aufrechten Demokraten und vor allem Leuten unseresgleichen. Ich freue mich schon, dabei wieder mitwirken zu können.“35
Es sollten noch drei Monate vergehen, ehe August Pirker am 19. September 1947 mit dem dritten Kriegsgefangenentransport in  Wiener  Neustadt ankam.36

Bereits am 1. Oktober trat er seine Arbeit für die KPÖ in Eisenerz an, später arbeitete er in der Bezirksleitung Graz und im Expedit der Tageszeitung Wahrheit. Da Pirker eine Arbeit als Dolmetsch suchte, ging er 1950 ins Erdölgebiet, nach Mühlberg bzw. Zistersdorf, wo er in den SMV-Betrieben als Dolmetsch und schließlich als Personalreferent arbeitete. Mitte der 1950er Jahre kehrte er nach Graz zurück, wo er am 13. November 1996 starb.

Anmerkungen:
1/ Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) 1571, Vermerk des Geheimen Staatspolizeiamtes in Berlin über den  Abschlussbericht  der  Gestapo  Graz vom
23. März 1939 über die Aktion gegen die illegale Kreisleitung der KPÖ, 14.8.1939.
2/   Zentrales   Parteiarchiv   (ZPA)   der   KPÖ,
Lebenslauf von August Pirker, 16.1.1955.
3/ Peter Wilding: „... Für Arbeit und Brot“. Arbeitslose in Bewegung. Arbeitslosenpolitik und Arbeitslosenbewegung in der Zwischenkriegszeit in Österreich (mit dem regionalgeschichtlichen Schwerpunkt Steiermark). Wien, Zürich 1990 (Materialien zur Arbeiterbewegung, Bd. 55), S. 248–294.
4/ Österreichisches Staatsarchiv/Archiv der Republik,       BKA       Inneres,       22/Stmk,   Zl. 173.237/31, Polizeidirektion Graz an das Bundeskanzleramt, 7.7.1931.
5/ ZPA der KPÖ, August Pirker: Fragebogen, 13.1.1955.
6/ Köflach-Voitsberger-Wochenblatt, 23.4.1932. 7/ Die Rote Fahne, 3.5.1933.
8/ Die Rote Fahne, 7.5.1933. 9/ Die Rote Fahne, 17.5.1933.
10/ Julia Köstenberger: Kaderschmiede des Stalinismus. Die Internationale Leninschule in Moskau (1926–1938) und die österreichischen Leninschüler und Leninschülerinnen. Wien 2016. Zu Pirkers Biografie siehe S. 438 und 474. 11/ Ebd., S. 211f.
12/ ZPA der KPÖ, Lebenslauf Pirker.
13/ Zeitzeugengespräch mit August Pirker, 16.3.1988.
14/ Heimo Halbrainer: Maribor und Zagreb als Orte des politischen Exils und Drehscheiben des österreichischen Widerstands, in: Zwischenwelt. Zeitschrift für Kultur des Exils und des Widerstands, 27. Jg. (2010), Nr. 1/2, S. 44–49.
15/ Allgemein dazu: Heimo Halbrainer: Widerstand und Verrat – Die Unterwanderung des steirischen Widerstands durch V-Leute der Gestapo, in: Margit Franz u.a. (Hg.), Mapping contemporary history. Zeitgeschichten im Diskurs. Wien 2008, S. 321–349.
16/ DÖW 1446, Gestapo Graz, Schnellbrief, 2.10.1938.
17/ DÖW 4236, Gestapo Graz, Tagesbericht, September 1938.
18/ DÖW 1446, Gestapo Graz, Monatsbericht über die KP im Bereich der Staatspolizeistelle Graz für Oktober, 31.10.1938.
19/ DÖW 1446, Gestapo Graz, Bericht, 4.11.1938. Vgl. dazu VGH, Zl. 7 J 268/39, Urteil gegen August Pirker, Johann Janeschitz und Nikolaus Wenky, 18.3.1940. Demnach hat Pirker den Plattform-Entwurf aus Wien bekommen.
20/ DÖW 4254, Gestapo Graz, Bericht, 31.1.1939. 21/ DÖW 1582, Gestapo Graz, Monatsbericht, 24.12.1938, betr. Bekämpfung illegalen Kommunismus.
22/ VGH, Zl. 7 J 268/39, Urteil gegen August Pirker u.a., OLG Wien, OJs 97/39, Urteil gegen Rupert Kulmer u.a., 1.7.1940, OLG Wien, OJs 53/40, Urteil gegen Elisabeth Sinic, 5.7.1940. 23/ VGH, Zl. 7 J 268/39, Urteil gegen Pirker u.a. 24/ Brief von August an Stefanie Pirker, 19.3.1940 (Kopie im Besitz des Verfassers).
25/ VGH, Zl. 7J 415/43, Urteil gegen Alois Kopp u.a., 24.1.1944.
26/ Hans-Peter Klausch: Die 999er. Von der Brigade „Z“ zur Afrika-Division 999: Die Bewährungsbataillone und ihr Anteil am antifaschistischen  Widerstand.  Frankfurt/M. 1986,
S. 13f.
27/ Zit. nach ebd., S. 18.
28/ Die folgenden Ausführungen stützen sich auf die Erinnerungen August Pirkers: Als Österreicher bei den griechischen ELAS-Partisanen!, Manuskript 1968 (DÖW 5889); Gespräch mit August Pirker, 16.3.1988 sowie Klausch: Die 999er, S. 232–253.
29/ Ab 1950 war Hansch Leiter der Abteilung Landwirtschaft des Zentralkomitees der SED und von 1953 bis 1970 Chefredakteur der BZ am Abend. Siehe dazu: Bernd-Rainer Barth: Hansch, Ernst, in: Wer war wer in der DDR? Bd. 1. Berlin 2010.
30/ Brief von Ernst Hansch an August Pirker, 18.2.1969 mit Kopie des Briefes an Herbert Steiner, hierin Informationen über den Widerstand auf Limnos (Kopie im Besitz des Autors). 31/ Pirker: Als Österreicher bei den griechischen ELAS-Partisanen, S. 11.
32/ Ebd., S. 15.
33/ Ebd., S. 20.
34/ Zeitzeugengespräch mit August Pirker, 16.3.1988.
35/ Brief von August an Stefanie Pirker, 22.6.1947 (Kopie im Besitz des Verfassers).
36/ August Pirker: Ich bin ein Heimkehrer aus Rußland, in: Wahrheit, 6.10.1947.



 

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Bestätigung der griechischen Partisanen für August Pirker (1944).

hungermarsch.tif

Flugblatt der KPÖ Steiermark (1932)

Veröffentlicht: 9. November 2017