Antikommunistische Geschichtsfälschung

Heutzutage wird rund um den Zweiten Weltkrieg ein psychologischer Informationskrieg entfacht. Versuche der Fälschung historischer Daten häufen sich. Von Charlotte Rombach

Am 19. September 2019 verabschiedete das Europäische Parlament in Straßburg die Resolution „Über die Wichtigkeit der europäischen historischen Erinnerung für die Zukunft Europas“ (2019/2819 (RSP))1, die versucht, die europäische Vergangenheit neu zu interpretieren. Die überwiegende Mehrheit der Abgeordneten (535) stimmte mit Ja, 66 dagegen und 52 enthielten sich der Stimme.

Eingebracht hatten diese Resolution die baltischen Staaten und Polen. Die vier Staaten behaupten entgegen jeder historischen Wahrheit und wissenschaftlichen Erkenntnisse, dass erst mit dem deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrag „die Weichen für den zweiten Weltkrieg gestellt wurden“. Haben sie vergessen, wer sie vom faschistischen Deutschland befreit hatte? Seit 1989 entwickeln sich in diesen Staaten leider antirussische Strömungen mit revanchistischem und revisionistischem Hintergrund.

Diese Resolution zeigt nicht in die europäische Zukunft, sondern kehrt ideologisch in die reaktionäre Vergangenheit, den Kalten Krieg zurück. Sie stellt grobe ideologische Propaganda dar, welche das gegenseitige Verständnis der Staaten stört. Sie stellt die Befreier mit dem Aggressor, die Opfer mit den Henkern auf eine Stufe. Sie setzt Kommunismus mit Faschismus gleich und verurteilt beide. Einerseits verurteilt diese Resolution die Verherrlichung der Kollaboration mit den Nationalsozialisten durch einige Staaten, andererseits wiederholt sie die Behauptung derselben Staaten, dass Russland angeblich historische Fakten fälscht und „die Verbrechen des totalitären sowjetischen Regimes verneint“. Sie setzt die Schuld des nationalsozialistischen Deutschland an der Entfesselung des Krieges herab und leugnet den präzedenzlosen Charakter des Holocaust.

Laut dieser Resolution tragen Hitlerdeutschland und die Sowjetunion gleichermaßen Verantwortung für den Zweiten Weltkrieg, da sie angeblich „beide das Ziel der Eroberung der Welt verfolgten“. Als Beweis dafür behauptet die Resolution entgegen jeglicher historischer Fakten, dass der zwischen Nazideutschland und der Sowjetunion abgeschlossene Nichtangriffsvertrag vom 23. August 1939 („Molotow-Ribbentrop-Pakt“) der Auslöser für den Zweiten Weltkrieg war.

Ein kurzer Rückblick:

Die Oktoberrevolution vom Jahr 1917, der darauffolgende Bürgerkrieg und die Intervention von 14 imperialistischen Staaten schwächten die damals noch junge Sowjetunion. Sie war nach dem Ersten Weltkrieg als Verliererseite gezwungen, Territorium im Westen des Landes abzutreten, das früher dem zaristischen Russland gehörte, und die Entstehung der baltischen Staaten anzuerkennen.

Die Sowjetunion war kein Aggressor, sie wollte in Frieden leben, um nach Ende des Krieges das Land wieder aufzubauen und den Lebensstandard der Bevölkerung zu verbessern.

Am 1. September 1939 überfiel Hitlerdeutschland Polen und begann damit den Zweiten Weltkrieg. Mehr als 55 Millionen Menschen verloren in diesem Krieg ihr Leben, davon 27 Millionen in der Sowjetunion, 6 Millionen Juden wurden während des Holocaust bestialisch ermordet. Die Imperialisten planten diesmal nicht nur, die Welt untereinander aufzuteilen, wie sie es im Ersten Weltkrieg taten. Sondern jetzt planten sie gemeinsam mit Nazi-Deutschland, die Weltherrschaft zu erringen, ganze Völker zu versklaven oder sogar zu vernichten. Das deutsche Industrie- und Finanzkapital unterstützte die NSDAP darin. Hitler hatte ja niemals sein Ziel verborgen, das da lautete „Vernichtung des jüdischen Bolschewismus“, „Erringung von Lebensraum im Osten“ und „Vernichtung der slawischen Untermenschen“.

Stalin wusste, dass ein Krieg gegen die Sowjetunion vorbereitet wurde und hatte daher schon von 1933 bis August 1939 den Alliierten – Großbritannien und Frankreich – vorgeschlagen, ein System der kollektiven Sicherheit gegenüber der faschistischen Aggression und eine Anti-Hitler-Koalition zu schaffen. Diese aber beeilten sich nicht, sich daran zu beteiligen, da sie hofften, den bevorstehenden Angriff nach Osten zu richten; im Gegenteil, ein Teil des britischen Establishments hatte nichts gegen eine Annäherung an Berlin: Lord Halifax sagte nach einem Besuch bei Hitler im Namen der britischen Regierung unter anderem: „Der Führer habe nicht nur in Deutschland Großes geleistet, sondern auch durch die Vernichtung des Kommunismus im eigenen Land diesem den Weg nach Europa versperrt ... Daher kann Deutschland mit Recht als Bollwerk gegen den Bolschewismus angesehen werden.“2

Winston Churchill, ein deklarierter Antikommunist, sah es als fatalen Fehler an, die Angebote der Sowjetunion zu einer „Großallianz“ gegen Hitler-Deutschland übergangen zu haben. Den deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrag („Hitler-Stalin-Pakt“) vom 23. August 1939 bezeichnete er nüchtern als lebenswichtig.3

Da die Alliierten eine Anti-Hitler-Koalition ablehnten, Hitler aber Stalin einen Nichtangriffsvertrag anbot, schloss Stalin diesen Vertrag mit Hitlerdeutschland ab. Er gab der Sowjetunion die Möglichkeit, Teile der Roten Armee aus allen Regionen des Riesenlandes zusammenzuziehen, wichtige Industrieanlagen nach Sibirien zu verlegen, Verteidigungsmaßnahmen zu organisieren und aufzurüsten.

Wer die Schuld Hitlerdeutschlands am Zweiten Weltkrieg leugnet, setzt die Schlächter des KZ Auschwitz mit dessen Befreiern gleich. Und wer das tut, beleidigt die Erinnerung an die 27 Millionen Opfer, welche die Sowjetunion bei der Befreiung Europas vom nationalsozialistischen Regime verlor.

Efraim Zuroff, Leiter des Simon Wiesental Centers in Jerusalem, warnte schon früher einmal vor der Gleichsetzung von Tätern und Opfern: „Die Parallelisierung des Nationalsozialismus mit dem Kommunismus ignoriert die entscheidende Besonderheit der Naziideologie, die darauf abzielte, bestimmte Menschen nur ihrer Herkunft wegen zu vernichten ... Die behauptete Austauschbarkeit beider Phänomene übersieht den präzedenzlosen Charakter des Holocaust.“4

Die Internationale Föderation der Widerstandskämpfer (FIR) erklärte dazu, dass diese Resolution ein Schlag ins Gesicht der FIR und aller anderen Verbände der Überlebenden der faschistischen Verfolgung, aller Kämpfer gegen die nationalsozialistische Barbarei sei. Die Antifaschisten sagen NEIN zu solchen Fälschungen. Die FIR lehnt diese Resolution des Europaparlaments ab, in der Nazifaschismus und Kommunismus gleichgesetzt und verurteilt werden. Diese Entschließung steht im völligen Gegensatz zur antifaschistischen und antirassistischen Entschließung vom Oktober 2018. Wer auf dieser Gleichsetzung besteht, kann kein Demokrat sein; in Wahrheit und in seinem Herzen ist er bereits ein Faschist und er wird den sich entwickelnden Faschismus nur mit Unaufrichtigkeit bekämpfen, den Sozialismus aber mit Hass und Verlogenheit.

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Im kommenden Jahr begeht Russland den 75. Jahrestag des Sieges über Hitlerdeutschland im Großen Vaterländischen Krieg 1941–1945. Die Sowjetunion, das sowjetische Volk siegte in diesem schrecklichen, von Hitler begonnenen Krieg. Aber dieser Sieg war nicht leicht. 27 Millionen Menschen – Soldaten und Zivilisten – gingen in diesem Krieg zugrunde. Nachdem die Hitler-Wehrmacht sowjetisches Territorium überfiel, verwüstete sie den europäischen Teil – 70.000 kleine Dörfer und Städte, 98.000 Kolchosen, zehntausende Betriebe und zehntausende Kilometer Straßen wurden zerstört. Die Sowjetunion verlor in diesem Krieg 15 Prozent ihrer Bevölkerung und 30 Prozent seines Volksvermögens.  Allein bei der Befreiung Polens vom Nazifaschismus fielen 600.000 sowjetische Soldaten – was die heutige Regierung Polens nicht daran hindert, sowjetische Denkmäler ab zu reißen und Hass gegen Russland zu säen.

Und das sind nur die Verluste in Zahlen. Welche Spuren hinterließ der Krieg aber in den Herzen der Menschen, wie beeinflusste er ihr Schicksal?

 

An Folgendes erinnert sich der 94-jährige Veteran Wladimir Wassiljewitsch Raspolykhin aus Moskau, der mit 17 Jahren direkt von der Schulbank an die Front ging:

„Heute kann man von verschiedenen Medien einer Reihe westlicher Staaten sowie von nicht besonders klugen Politikern dieser Staaten Aussagen hören, welche die Rolle des sowjetischen (heute: russischen) Volkes in der Zerschlagung des faschistischen Deutschland, des Tod-Feindes der ganzen Menschheit, herabsetzen. Meine Herren, versuchen Sie nicht, die Resultate des vergangenen Krieges neu zu interpretieren! Sie sind zu spät gekommen, meine Herren! Das sowjetische Volk ist als Sieger aus diesem schrecklichen Krieg hervor gegangen, das weiß heute jeder Bewohner unseres Planeten. Der Feind wurde von uns geschlagen und unterworfen. Wir unsererseits setzen die Rolle einiger westlichen Staaten ja auch nicht herab die alliierten Armeen haben uns damals geholfen, den deutschen Faschismus zu besiegen. Dafür danken wir ihnen.

Am 22. Juni 1941 teilte man uns, den sowjetischen Bürgern, genau um 4 Uhr morgens mit, dass der Krieg begonnen hatte. Kein einfacher Krieg, sondern ein Krieg gegen eine Bestie mit gefletschten Zähnen. Hitlerdeutschland überfiel wortbrüchig die Sowjetunion. Unsere Regierung gab die Devise aus: „Unsere Sache ist gerecht, der Feind wird geschlagen, der Sieg wird unser sein!“

Der Krieg veränderte das Schicksal unseres Landes und eines jeden seiner Einwohner. Lange, sehr lange dauerte es bis zum ersehnten Sieg, wir hatten es alles sehr schwer in dieser Zeit. Viel Blut hat unser Volk vergossen, wir haben viele wunderbare, mutige Menschen verloren. Dieser Krieg hat uns viele Leiden und unwiederbringliche Tränen gebracht. Aber das sowjetische Volk antwortete damals sofort auf den Aufruf unserer Regierung. Wir waren überzeugt, dass der Feind geschlagen und der Sieg unser sein würde.

Am 13. Jänner 1943 wurde ich, ein damals 17 Jahre alter Schüler, in die Rote Armee einberufen. Ich kam direkt von meiner Kindheit in schmutzige Güterwagons, in Schützengräben, feuchte Unterstände. Meine Eltern gaben mir viele Ratschläge mit, wie ich mich während des Krieges verhalten und auf mich achten sollte. Mein Vater sagte mir ernst: „Lass' dich nicht gefangen nehmen, halte dich an die goldene Regel entweder die Brust voll Orden und Ehrenkreuze oder den Kopf im Graben.“ Ich wusste, dass ich zur Verteidigung meiner geliebten Heimat aufbrach, dass ich meine Pflicht als Bürger der Sowjetunion erfüllte.

Ich wurde zur Infanterie beim Luftlande-Bataillon eingezogen, unter dem Befehl von Armeegeneral Glagolew bei der 9ten Garde-Armee. Vor mir lagen 1418 schwere Tage eines gefährlichen Soldatenlebens bis zum ersehnten Sieg. Vier Jahre entsetzlicher Schlachten. Ich kämpfte an der Ersten Ukrainischen Front unter dem Kommando von Marschall Tolbuchin und an der Zweiten Ukrainischen Front unter dem Kommando von Marschall Malinowski. In den verschiedenen Luftlande-Abteilungen absolvierte ich 51 Fallschirmsprünge. Unsere Devise lautete damals: „Niemand außer uns“.

Nach der sehr schweren Schlacht am Balatonsee in Ungarn befreiten wir in äußerst anstrengenden und erschöpfenden Kämpfen Wien, die Hauptstadt von Österreich, und danach St. Pölten in Niederösterreich. Dabei verloren wir viele unserer Kameraden. Danach kehrte unsere Division nach Wien zurück, um die Verluste an Menschen und Material wieder auszugleichen und uns auszuruhen. Am 1. Mai wurde eine Parade unserer Militäreinheiten vor dem Parlament abgehalten. Am 5. Mai setzten wir unseren Weg über Nordösterreich in die Tschechoslowakei fort. Dort erreichte uns am 8. Mai die Nachricht von unseren Sieg über das faschistische Deutschland, als wir die Stimme unseres berühmten Sprechers Juri Lewitan hörten: „Deutschland hat bedingungslos kapituliert“. Unsere Freude hatte kein Ende, Tränen in den Augen, auf den Gesichtern und Stolz, dass wir das mächtige Rückgrat der deutschen Kriegsmaschine gebrochen hatten, dass wir in diesem langen, blutigen Krieg gegen das faschistische Deutschland gesiegt hatten!“


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1 Gerald Oberansmayr, Solidarwerkstatt, Linz 2019
2 zit. nach L. Besymenski, Generale ohne Maske, Berlin 1963
3 vgl. Winston Churchill, Der Zweite Weltkrieg, Bern 1954, S. 122–123
4 Efraim Zuroff: Der Rückfall. taz.de 16.03.2012

10. Januar 2020